Predigt zum „Karfreitag“ - 25.3.2016 Wir lassen uns einstimmen auf diesen Tag und diese Predigt mit dem Predigttext: Textlesung: 2. Kor. 5, 14 - 21 Denn die Liebe Christi drängt uns, zumal wir überzeugt sind, dass, wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben. Und er ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. Darum kennen wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch; und auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr. Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber ver- söhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. Liebe Gemeinde! Aus einem Dorf in Hessen ist mir neulich folgendes zu Ohren gekommen: Da sieht einmal der Pfarrer wie ein alter Bauer in der Mittagszeit in die Kirche geht, auf deren Tür der Pfarrer von seinem Amts- zimmer aus blicken kann. Nach etwa einer halben Stunde verlässt der Bauer die Kirche wieder. Am nächsten Tag dasselbe. Auch am übernächsten. Ja, es wird von da an eine feste Übung: Täglich betritt der Bauer gegen Mittag die Kirche und verlässt sie nach etwa einer halben Stunde wieder. Nach eini- gen Wochen übermannt den Pfarrer die Neugier. Er möchte doch zu gern wissen, was der alte Bauer in der Kirche macht, gehört er doch ansonsten nicht zu den besten Kirchgängern! Und so folgt er dem al- ten Mann eines Tages, drückt sich leise in die letzte Bankreihe und schaut, was der Bauer tut. Der hat sich in die allererste Bank gesetzt und sitzt nun - den Blick unverwandt auf das Altarkruzifix geheftet - da. So geht das eine halbe Stunde, dann steht er auf und geht wieder nach draußen. Nun kann sich der Pfarrer nicht länger zurückhalten. Er fragt den Alten, nachdem er ihn höflich begrüßt hat: „Ich be- obachte nun schon seit einer geraumen Zeit, dass Sie immer gegen 12 in unsere Kirche gehen. Mich freut das ja, aber ich hätte doch gar zu gern gewusst, warum Sie das tun? Ich habe Sie heute nur still vor dem Kreuz sitzen sehen.“ - „Herr Pfarrer“, antwortet da der Alte, „das ist auch alles, was ich tue. Ich sitze vor dem Kreuz unseres Herrn. Er sieht mich an und ich sehe ihn an!“ Liebe Gemeinde, ist das eine Geschichte zum Karfreitag? Ich denke, ja! Für mich ist sie sogar - recht verstanden - die schönste Karfreitagsgeschichte, die ich mir vorstellen kann. Ich will das erklären. Wie gut wäre das doch, wir kämen auch, wie es der alte Bauer tut, täglich so unter das Kreuz Jesu! Es braucht gar nicht mehr als das: Dasitzen, zu sich selbst finden und zum ihm... Gewiss, wer das möchte, mag noch ein Gebet sprechen, aber es sage keiner, das wäre zu wenig oder gar nichts: Vor seinem Kreuz zur Ruhe kommen, auf sein ihn blicken... „Er sieht mich an und ich sehe ihn an!“ Das ist sehr viel! Wie viel, das wollen wir jetzt ergründen. Denn wir sitzen ja heute auch vor seinem Kreuz. Wir wollen jetzt auch nach ihm schauen und empfinden, was dieses Wort mit uns macht: „Er sieht mich an und ich sehe ihn an!“ - Was wird dabei mit uns geschehen? - Er sieht mich an... Nein, das ist nicht ein Blick der uns abschätzig oder prüfend mustert. Es ist der Blick der Liebe: „Da bist du...vor mir...hier in der Kirche...ganz nah... Es ist gut, dass du da bist! Ich mache mir sehr viele Gedanken um dich! Ja, mir liegt unendlich viel an dir. Ich möchte, dass dein Leben ge- lingt. Ich will, dass du Sinn und Freude im Leben hast. Und ich will, dass du zum Ziel des Lebens fin- dest. Das liegt ja nicht in dieser Welt. Es gibt ein anderes Leben, die Ewigkeit...beim Vater... Ich möch- te dir dieses ewige Leben schenken. Es soll für dich heute beginnen und niemals enden. Du sollst es ha- ben, denn du gehörst zu mir, du bist meine Schwester, mein Bruder...“ Er sieht mich an... Und das ist der Blick des Erbarmens: „Ich weiß wohl, wie du bist, wie du denkst und lebst. Ich sehe dich nicht nur jetzt und hier. Ich kenne dich ganz, besser als jeder andere. Ich weiß, wo du recht gehandelt hast und wo unrecht. Ich weiß, wo Liebe von dir ausging, wie viel Güte du ver- schenkt hast und auch, wann du ungerecht und hart warst gegen andere. Ich kenne die Stunden deines Lebens, die du gern vergessen würdest. Ich weiß, von welchen Zeiten deines Lebens du immer wieder sprichst und auch von den anderen, die du verdrängen möchtest. Alles ist offenbar vor mir. Nichts ist verborgen - und doch liebe ich dich!“ Er sieht mich an... Und es ist der Blick des Verzeihens: „Du musst nun die Augen nicht senken, schau mich an! Ich bin an dieses Kreuz gegangen, um dich frei zu machen. In diesem Augenblick, da du mich ansiehst und begreifst...für dich gelitten...für dich geopfert...für dich gestorben...damit du Frieden hast...durch meine Wunden bist du geheilt! In diesem Augenblick, wenn du das glaubst, bist du frei. Nichts von deiner Schuld gilt dann mehr. Keine Last der Vergangenheit muss dich noch bedrücken. Frei bist du. Aufsehen darfst du und aufatmen! Das alles ist abgetan. Vergeben.“ Was wird sein Blick aus uns machen? Wie schauen wir zurück auf ihn? Bleiben wir dieselben? Kann uns sein Blick verändern? - Wir wollen darüber nachdenken. (Musik, Chorstück, Liedstrophe) Was wird sein Blick aus uns machen? Wie schauen wir zurück auf ihn? Bleiben wir dieselben? Kann uns sein Blick verändern? Ich sehe ihn an... Wird vor seiner Liebe nicht alles klein und unbedeutend, was mich doch immer so be- schäftigt: Ob ich noch dieses oder jenes in der Zeit, die mir hier bleibt, erreichen kann? Ob ich im Alter mein Auskommen haben werde? Was später einmal und was schon morgen kommen kann für mich... Und all die tausend Dinge, die mich täglich umtreiben, mir die Ruhe und die Gelassenheit nehmen, und die doch vor ihm so klein sind und ohne jede Bedeutung. Denn er liebt mich doch! Er hat für mich das Leben zu bieten, das wirkliche, wahre Leben, das rund ist und erfüllt und das kein Ende hat...selbst am Tod nicht. Ich sehe ihn an... Und ich spüre die Wärme, die von ihm ausgeht. Wie gut er es mit mir meint. Wie wohl mir das doch tut: Nicht festgelegt sein auf das, was ich immer war oder wie ich früher gedacht o- der gehandelt habe. Nicht verhaftet werden aufs Gestern und nicht festgenagelt auf die Bosheit, die ich getan habe. Und das nicht, weil er davon nichts weiß. Nein, er weiß es und kennt mich und ich darf ihm doch gerade in die Augen sehen! Wie gut, das nicht mehr verdrängen, nicht mehr leugnen, nicht mehr beschönigen und bemänteln zu müssen. Ich darf ich sein vor ihm, sein wie ich bin und werden, wie ich sein soll, sein kann...durch ihn... Ich sehe ihn an... Und ich verstehe: Er musste ans Kreuz gehen. Er musste das sichtbar und erfahrbar abtragen, was meine Schuld ist. Das Opfer musste sein. Es musste gelitten werden, es musste Blut flie- ßen, die Schreie der Angst und der letzten Not mussten hinaus... Meine Sache aber wäre es gewesen! Denn es ist meine Schuld. Ich hätte den Tod leiden müssen. Denn ich habe ihn verdient. Es ist mein Kreuz, das er trägt. Es ist meine Sünde, mein Versagen, das ihn martert und das Leben kostet. Die Stra- fe liegt auf ihm, damit ich Frieden hätte. Mir ist vergeben! Ich bin frei! Liebe Gemeinde, die Geschichte von dem alten Bauern hat da geendet, wo er das ausspricht: „Er sieht mich an und ich sehe ihn an!“ Ich glaube aber, dass sie noch weiter geht, genauso, wie unsere Ge- schichte dieses Karfreitags heute noch weitergeht. Bei dem alten Bauern vielleicht so: „Herr Pfarrer, und wenn er mich so ansieht und ich ihn, dann kommt eine große Ruhe über mich und eine noch größere Dankbarkeit. Und meine Arbeit zu Hause, die mache ich dann anders. Und meine Umgebung, die merkt es auch, dass ich nicht derselbe bin, wie vorher!“ Und bei uns könnte die Geschichte vielleicht so weitergehen: Wenn wir nachher dorthin zurückkehren, wo wir leben, werden die anderen auch merken, dass wir verwandelt sind: Verwandelt von seinem Blick, seiner Liebe, seiner Barmherzigkeit und seiner Vergebung. Manches, was immer eine Last war, wird uns gering vorkommen. Anderes, das unsere Gedanken oft sehr beschäftigt hat, wird kaum noch eine Rolle spielen. Und vielleicht wird uns auch die Dankbarkeit eine Weile begleiten und unser Den- ken, Reden und Handeln bestimmen. Wer so viel Güte erfahren hat, der kann ja nur gütig mit anderen Menschen umgehen! Liebe Gemeinde, vergessen wir nicht, was hier und heute so augenfällig gilt, denn es gilt überall, an je- dem Ort und zu jeder Zeit unseres Lebens: „Er sieht mich an...“ Und hoffentlich gilt bei uns dann auch immer das zweite: „...ich sehe ihn an!“ Wenn das geschieht, wird es uns verändern! AMEN