Predigt zum Sonntag „Reminiszere“ - 21.2.2016 Textlesung: Röm. 5, 1 - 5 Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns ge- geben ist. Liebe Gemeinde! Nachdem ich diesen Text aus dem Römerbrief gelesen hatte, fielen mir zwei Lieder aus unserem Ge- sangbuch ein, bei denen ich immer ein wenig Hemmungen habe, sie im Gottesdienst von der Gemeinde singen zu lassen - selbst in der Passionszeit: Das erste ist: „Jesus ist kommen Grund ewiger Freude...“ (EG 66) und das zweite: „In dir ist Freude in allem Leide...“ (EG 398). Bei den Worten „Grund ewiger Freude“ fragt man sich als Christenmensch, der doch manchmal vom Schicksal stark gebeutelt wird, ob wir das denn durchhalten können: Immer, ja sogar ewig, Freude zu empfinden. Und wenn es heißt: „Freude in allem Leide“, dann müssen wir wirklich passen! Wer bringt das denn fertig, dem Abschied von lieben Menschen, der schweren Krankheit, der lebenslangen Behinderung und manchem anderen, was uns auferlegt wird, auch noch Freude abzugewinnen? Dann habe ich den vorgeschlagenen Predigttext für heute noch einmal gelesen: „Wir rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse.“ Da wird ja nun wirklich noch mehr von uns verlangt: Wir sollen aus dem Leid, das wir erdulden müssen, nicht nur Freude ziehen, sondern uns seiner sogar noch rühmen! - Wie soll das gehen? Paulus kann nicht die Freude meinen, die wir so nennen würden. Aber fragen wir zuerst einmal, was wir denn unter „Freude“ verstehen. In Bayern könnten wir vielleicht hören: ,,Das Oktoberfest war heuer wieder eine Mordsgaudi“! Auf ei- nem Jahrmarkt, den wir mit unseren Kindern oder Enkeln besuchen, würde vielleicht so gesprochen: „Das Karussellfahren ist ein Riesenspaß!“ So sagte kürzlich die Mutter zu ihren zwei Sprösslingen, die partout nicht mit zur Großmutter fahren wollten: „Oma freut sich doch immer so, wenn ihr mitkommt.“ Und der glücklose Spieler nach der Ziehung der Lottozahlen ruft vielleicht: ,,Mensch, würde ich mich freuen, wenn ich mal 6 Richtige im Lotto hätte“. Ich wüsste noch viele Beispiele, wie, wann und mit welchem Wort Menschen ihr Gefühl von ,,Freude“ ausdrücken. Aber es würde immer wieder deutlich: Das, was Paulus mit „Freude“ meint, ist noch ein- mal etwas ganz anderes. Sie hat mit der Gaudi beim Oktoberfest, dem Spaß auf dem Jahrmarkt, der Freude der Oma an ihren Enkeln und der des Lottokönigs an einem Hauptgewinn rein gar nichts zu tun. Dafür aber sehr viel mit dem, was uns die Beziehung mit Gott und mit seinem Sohn Jesus Christus schenkt. Und da will ich jetzt nicht mehr davon sprechen, was ,,Freude“ nicht ist, sondern endlich sa- gen, was sie ist: Freude ist der Glaube, dass ich mit meinem Vater im Himmel durch dick und dünn ge- hen kann, dass er mich durch alle Schwierigkeiten meines Lebens hindurchbringt, dass er in jedem Au- genblick nach mir sieht. Freude ist das Wissen, dass mein Gott zuletzt immer das Gute will und dass er's durchsetzt und dass ich ihm dabei helfen soll und kann. Und Freude ist die Hoffnung, dass meine gute Beziehung zu meinem himmlischen Vater niemals ein Ende hat - und wenn die Welt untergeht und mich alle verlassen, wenn ich gar nichts Helles mehr vor mir sehe und am liebsten sterben würde - und schließlich auch, wenn ich wirklich einmal von dieser Welt Abschied nehmen soll, dass dann ein Platz bei Gott für mich bereit ist. Das alles - und noch viel mehr - ist ,,Freude“, wie Paulus sie gemeint hat, und ich würde heute Morgen nicht zu Ende kommen, wenn ich sie ganz und gar beschreiben wollte. Und dabei geht mir jetzt auf: Die Gesangbuchlieder, die von dieser Freude singen, können wir nicht auch, sondern gerade in der Passionszeit anstimmen! Denn die Freude, von der Paulus spricht, hat nicht nur mit Jesu Passion zu tun, sie hat dort ihren tiefsten Grund! Anders gesagt: Wir dürfen uns überhaupt nur deswegen freuen, weil unser Herr für uns, für dich und mich gelitten hat und gestorben ist, das ist der einzige Grund dieser Freude. Und andersherum: Wäre er nicht in diese Welt gekommen, hätte sein Weg nicht von der Krippe zum Kreuz geführt, dann gäbe es vielleicht die Gaudi des Oktoberfests und den Spaß auf dem Karussell, aber ,,Freude“, mit der wir leben und sterben können, gäbe es nicht! Und noch deutlicher: Es gäbe keinen Glauben, der uns in allen Lebenslagen auf Gott vertrauen lässt. Es gäbe kein Wissen, dass Gottes Ziel und sein Plan für uns gut ist. Und es gäbe keine Hoffnung; der Tod wäre die furchtbare Grenze, und es bliebe uns nur die Angst vor ihm. Nun aber gibt es den Glauben: Weil Jesus für mich gestorben ist, hat Gott mich lieb. Nun aber gibt es das Wissen: Weil Jesus für mich gestorben ist, hat Gott in diesem und im ewigen Leben etwas mit mir vor. Nun aber gibt es die Hoffnung: Weil Jesus für mich gestorben ist, ist für mich der Tod besiegt; ich muss mich nicht mehr fürchten, vor dem Leid nicht und nicht vor dem Sterben. Und aus alledem kommt jetzt die Freude: Weil Jesus für mich gestorben ist, kann ich in allem was mir das Leben bringt fröhlich sein, mutig, tapfer, standhaft... Die Herrlichkeit und das Bestehen im Gericht Gottes kann mir nichts und niemand mehr nehmen. Darum müsste die Frage jetzt eigentlich heißen: „Kann mir etwas anderes als die Passion Jesu die wahre Freude schenken?“ Und: „Können wir uns in der Leidenszeit dann eigentlich nicht nur freuen?“ Ich denke, inzwischen ist ganz deutlich geworden, wie weltenfern diese Freude der Christen von der Gaudi und dem Spaß und der ,,Freude“ über einen Lottogewinn ist. Und vor allem: Wie lange hält denn die Gaudi und der Spaß an? Minuten vielleicht, manchmal Stunden - und dann wird die nächste Gaudi gesucht, und wir jagen dem nächsten Spaß nach. Die Freude, die aus dem Leiden und Sterben Christi herkommt, ist wie ein Schatz, den wir tief in unserem Innern aufbewahren und wie eine Eigenschaft unseres Charakters, sie hält das ganze Leben. Ja, vielleicht ist das noch nicht plastisch genug, darum noch mal anders: Die Freude, die mir Jesu Kreuz schenkt, ist wie eine helle Farbe, mit der Gott mein ganzes Leben einfärbt. Vor diesem hellen Hintergrund werden jetzt zwar schlimme Erlebnisse, Schmerz, Trauer und Dunkles umso deutlicher abstechen - aber das gesamte Bild bleibt hell, freundlich, hoffnungsvoll und froh. - Liebe Gemeinde, so ist das mit der Freude. Jetzt bleibt nur die Frage, wie wir diese Freude gewinnen, wenn wir sie noch nicht kennengelernt haben? Dazu weiß ich jetzt nicht mehr zu sagen als: Wir müssen uns das zu Herzen nehmen, was uns in dieser Passionszeit wieder vor Augen geführt wird. Jesus geht in den Predigten und den Schriftlesungen dieser Zeit vor Ostern wieder den Weg ans Kreuz. Er gibt sich in die Hände der Mörder, er lässt sich bespucken, geißeln, verhöhnen und schließlich töten. Aber was sage ich - eben nicht nur in den Predigten und Schriftlesungen! Ich muss ihn aus dem Papier der Bibel befreien und aus den Worten der Prediger und Pfarrer! Ich muss ihn aus den toten Buchstaben und von den Kanzeln herunterholen! Für mich muss ich Jesus und was er für alle Menschen getan hat, in An- spruch nehmen. So als hätte es die 2000 Jahre seit er über diese Erde ging nicht gegeben. Und es hat sie nicht gegeben! Für mich - heute - ist dieser Jesus jetzt auf dem Weg ans Kreuz. Für mich geht er die Marterstraße. Für die Vergebung meiner Sünde quält er sich so. Die Nägel, die sie ihm durch die Hände und Füße treiben, sind mein Eigensinn, meine Ichsucht, mein verkehrter Wille, meine Schuld. Das Leben, das er am Kreuz aushaucht, gibt er für mich. Den Tod, den er leidet, erspart er mir. ,,Es ist vollbracht“, sagt er zu mir. Und selbst das Wort: ,,Noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein“, gilt mir. Hier, nur hier neben dem Kreuz Jesu, wächst die Freude für mich und für alle Menschen. Aber dieses ,,alle Menschen“ lenkt uns vielleicht schon wieder ab. Du musst Jesus noch mehr in dein Leben holen: Nur für dich ist er nach Golgatha hinaufgegangen. Nur für dich hat er dort so schändlich gelitten. Nur um dich ist es ihm gegangen, um dein „ewiges Leben“ hat er gekämpft, um deine Rettung, um deine Freude. Ich glaube, nur so begreifen wir recht, was in der Passion Jesu wirklich geschieht. Nur so verstehen wir, wie wichtig wir für unseren Gott sind. Nur so bekommen wir eine Ahnung von der Liebe Gottes zu uns. Nur so hat die Freude, die mehr ist als Gaudi und Spaß, eine Chance bei uns. Die Passionszeit ist noch lang. Nehmen wir alles, wovon die alten Geschichten handeln, in unser Herz auf. Aber nehmen wir's persönlich. Befreien wir Jesus und sein Kreuz aus den Worten und Versen der Bibel. Holen wir ihn aus dem Damals der bloßen Erinnerung. Von Erlösung, die bloß gestern stattge- funden hat, kommt kein Glaube, kein Wissen, keine Hoffnung. Nur für dich, heute, leidet und stirbt Jesus. Soviel giltst du ihm. Das bist du ihm wert. So liebt dich Gott. Darin allein liegt die Freude. („Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade ... und rüh- men uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, son- dern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden.“) AMEN (Im Gottesdienst könnten die beiden Lieder EG 66 und EG 398 gesunden werden)