Predigt am Drittl. So. im Kirchenjahr - 9.11.2003 Textlesung: Lk. 17, 20 - 30 Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ih- nen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht so, daß man's beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! Oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch. Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen. Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da! Oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach! Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein. Zuvor aber muß er viel leiden und verworfen werden von diesem Geschlecht. Liebe Gemeinde! Seltene und irgendwie seltsame Fragen sind da angesprochen: Wann kommt das Reich Gottes? Wie kommt es? Wo werden wir es sehen können? - Wir werden sicher ganz unterschiedlich auf diese Fragen reagieren. Je nach Alter und Interesse: Die Jüngeren unter uns könnten vielleicht ganz salopp zurückfragen: Was soll's? Was bringt mir das denn: Reich Gottes? Menschen in den mittleren Lebensjahren werden sich vielleicht gegen den Gedanken wehren, daß dieses "Gottesreich" allzu bald kommen könnte: Wir haben doch hoffentlich bis dahin noch Zeit, dies und das zu tun; es wird doch wohl nicht alle unsere Pläne und Vorhaben durchkreuzen!? Und die Alten? Die könnten wohl so sprechen: Ach, manchmal sehne ich mich da- nach, daß es anbricht, das Reich... Da werde ich sicher nicht mehr so einsam sein, nicht mehr hin- fällig und krank, nicht mehr traurig und von allen möglichen Beschwerden belastet. Ja, es dürfte bald kommen, das Reich Gottes! Wir spüren: Da sind schon auch ganz unterschiedliche Vorstellungen von diesem Reich angespro- chen: Für die einen ist es das Ende eines mehr oder weniger schönen Lebens, das man doch noch ganz gern bis zur Neige ausgekostet hätte. Da wirkt dann sein Kommen fast bedrohlich. Für die an- deren ist es erhofft und willkommen: Der Anfang eines besseren, herrlichen ewigen Lebens! Die Theologen würden nun noch zwei Gedanken hinzufügen: Kommt das Gottesreich erst am Ende al- ler Tage - und dann für alle Menschen gleichzeitig? Oder ist es jedem Menschen ganz persönlich in seinem Erdenleben und als Ziel seines Lebens verheißen? Schauen wir einmal, ob Jesu Worte auch Antworten zu unseren Fragen bieten? Auf den ersten Blick scheint seine Auskunft ja recht undeutlich und widersprüchlich: Man kann das Reich nicht beobachten, wenn es kommt. Andererseits: Es wird wie ein Blitz sein, der für alle sichtbar den Himmel erleuchtet. Und dann: Obwohl es doch wie ein Blitz über den Himmel zucken wird, ist es doch "mitten unter euch". Wie gesagt: Seltsam ist das, unklar und geheimnisvoll. Oder übersehen wir bis jetzt etwas Wichtiges in Jesu Worten? Überhören wir vielleicht eine ganz ent- scheidende Botschaft? Eins ist klar - wo auch vieles unklar ist: Denen, die mit dem "Reich Gottes" überhaupt nichts an- fangen können, kann Jesus nicht helfen. Und denen, die seine Ankunft in dieser Welt eher fürchten, auch nicht. Bei allem, was uns sicher von den "Pharisäern" damals unterscheidet, Jesus spricht mit denen unter uns, die ihnen gleichen: Sie hatten ja gefragt, wann das Reich Gottes denn kommt, end- lich kommt, denn sie sehnten sich genauso danach wie viele von uns! "Das Reich Gottes ist mitten unter euch", sagt Jesus. Er war damals auch mitten unter ihnen, unter denen, die ihn fragen. Ob er nicht vielleicht sich selbst meint: Seht doch her zu mir, ich bin das Reich Gottes, mit mir ist es angebrochen! Und wenn er vom Tag des Menschensohns redet, der sein wird "wie der Blitz aufblitzt" - ob das nicht auf die Zeit hinweist, in der das "Reich" endgültig er- scheint und vollendet wird? Könnte das nicht unsere Fragen beantworten und ein wenig Licht ins Dunkel bringen? Verfolgen wir noch ein wenig diese Gedanken: Ich bin das Reich Gottes, sagt Jesus, mit mir bricht es an bei euch. - Heißt das nicht: Wenn ihr mich bei euch aufnehmt oder abweist, dann nehmt ihr das Gottesreich auf oder weist es ab? In eurer Haltung zu mir entscheidet sich, wie ihr zu Gottes Reich steht! In mir hat es Fleisch und Blut angenommen. In mir spricht es mit euch und ruft euch. In mir erfährt es eure Liebe oder eure Ablehnung. Alles was wir ihm tun, tun wir zuletzt im Blick auf das Reich Gottes. Er, Jesus Christus, ist dieses Reich! Wie wir ihm begegnen, so begegnen wir dem Gottesreich. Wir treffen eine Entscheidung, wenn wir uns zu Jesu Wort und Ruf und zu seiner Person stellen - eine Entscheidung für das Reich Gottes! Vielleicht kommen uns jetzt ja noch andere Worte in den Sinn, die doch eigentlich alle dasselbe meinen, nämlich dies: In Jesus tritt uns Gott, sein Reich und sein Anspruch gegenüber. "Was ihr ge- tan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!" - "Ich bin das Licht, die Wahrheit, der gute Hirte, der Weg, die Tür..." - "Wer in mir bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm." Wirklich, es ist immer das gleiche! Es heißt immer auch: Das Reich Gottes - das bin ich! In mir "ist es mitten unter euch"! Und das andere? Der "Tag des Menschensohns", der sein wird wie "der Blitz, von einem Ende des Himmels bis zum andern"? Da wird zu Ende gebracht, was mit Jesus anfängt. Da rundet sich der Bogen der Zeit, die Gott uns gegeben hat. Da wird der "Menschensohn", wie Christus dann heißt, den Strich unter die Geschichte der Welt, aber auch unter meine und deine Geschichte ziehen. Und dieses "Ende" hat wie selbstverständlich mit dem Anfang zu tun: Es war Jesus Christus, in dem wir das Reich aufgenommen oder verachtet haben. Es wird Jesus Christus, der Menschen- sohn, sein, der uns in sein endgültiges Reich aufnehmen oder uns verachten wird. Was so widersprüchlich und geheimnisvoll aussah, ist eigentlich klar und offenbar: Heute ist Gottes Reich in Jesus Christus "mitten unter" uns. Und am Ende kriegen wir es wieder mit Je- sus, "dem Menschensohn" zu tun, wenn es um den Eintritt und das Leben in Gottes Reich geht. Und so manche andere Frage vor diesen Worten Jesu löst sich jetzt auch: Wahrhaftig, "es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns". Das Leben in dieser Welt ist ja immer nur vor-läufig. Noch die größte Mühe, dem Ruf und dem Anspruch dieses Jesus Christus gerecht zu werden, scheitert an den Verhältnissen und oft an unserer eigenen Unzulänglichkeit. Noch die schönsten Stunden, das gute Gelingen unserer Be- ziehungen wecken die Sehnsucht nach einer Zeit, in der es kein Leid, keine Trauer, keine Krankheit und keinen Abschied mehr geben wird. So ist noch das beste Leben im Sinn und in der Nähe Jesu Christi angelegt auf die Vollendung: Daß ewig wird, was hier nur zeitlich ist. Daß zum Ziel kommt was hier liegen bleiben muß. Daß dauert, was in dieser Welt gut war. Daß endet, was hier unser Leid ausgemacht hat. - Oft kommt diese Sehnsucht erst bei älteren Men- schen. Aber sie kommt. Auch die etwas spitzfindigen Fragen der Theologen, können wir jetzt beantworten: Das Gottes- reich kommt heute - in Jesus Christus - und es kommt am Ende der Zeit, wenn er als "Men- schensohn" erscheint. Und es tritt jedem Menschen in diesem Jesus heute ganz persönlich ge- genüber und fordert seine Entscheidung: Nimmst du mich bei dir auf? Weist du mich ab? Doch es ist mehr, es ist auch das Ziel jedes Lebens: Heute schon nimmst du an oder verwirfst du, was dir am Ende deines Lebens einmal aufgetan oder verschlossen wird. Ob dieser Eintritt ins Reich Gottes nun für alle Menschen gleichzeitig ist oder ob jeder für sich nach seiner Lebenszeit dort eintreten darf oder abgewiesen wird, ist eigentlich doch nicht so wichtig. Diese Frage mag dun- kel bleiben. Ein letztes allerdings muß jetzt auch noch gesagt werden: Es ist verständlich, wenn jüngere und junge Menschen noch nicht dasselbe Interesse an diesen Fragen entwickeln wie die Alten. Aber Sätze wie: "Was soll's?" oder "Was bringt mir das?" werden dem Ernst der Sache nicht gerecht. Das soll's: Heute bin ich von Jesus Christus gefragt, wie ich zu ihm stehe. Ist er auch für mich der Weg, die Wahrheit, die Tür, der gute Hirte...? Heute tritt er mir in den geringsten Brüdern entgegen und bittet mich um Hilfe. Heute lädt er mich ein, daß ich in ihm bleibe und bei seiner Sache und damit bei Gott. Und das alles wird einmal zu tun haben mit dem Ende meines Le- bens und meiner Zukunft: In ihm bricht das Reich an, in dem ich ewig leben soll! Das also "bringt es", wenn ich mich schon früh mit diesen Fragen beschäftige: Ich treffe die Entschei- dung für Jesus und damit für das Leben! Liebe Gemeinde, alle Fragen sind nun beileibe nicht beantwortet. Aber halten wir doch das eine fest: Es ist derselbe Jesus Christus in dem uns schon heute der Ruf in Gottes Reich vernehmlich wird, ja, in dem er Fleisch angenommen hat! Und es ist derselbe Menschensohn Jesus Christus, der uns einmal die Vollendung dieses Reiches schenkt. An unserem Verhältnis zu ihm ent- scheidet sich unser Leben - hier und einmal in Ewigkeit.