Predigt am 13. So. nach Trinitatis - 14.9.2003 Textlesung: Lk. 10, 25 - 37 Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muß ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« (5. Mose 6,5; 3. Mose 19,18). Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben. Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster? Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen. Es traf sich aber, daß ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit: als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn; und er ging zu ihm, goß Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme. Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war? Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desglei- chen! Liebe Gemeinde! Ich gestehe es: Ich wollte den heutigen Predigttext erst gar nicht mehr durchlesen, bevor ich mich an die Predigt gesetzt habe. Diese Geschichte vom "Barmherzigen Samariter" ist ja doch zu be- kannt. - Aber dann fiel mir wirklich nichts Neues mehr dazu ein...und dann habe ich die Geschichte doch durchgelesen...und gestaunt: Das ist doch ein Geheimnis der Heiligen Schrift, daß auch ihre bekanntesten, so viel gehörten Stücke immer wieder Unbekanntes, Neues enthalten! Schon deshalb lohnt es sich, täglich in der Bibel zu lesen. Selbst für den Kenner der Schrift!...und um so mehr für die Anfänger in dieser Lektüre! - Aber das nur am Rande. Was mir beim Lesen der Geschichte vom Samariter aufgegangen ist und mich neu überrascht hat, war dies: Jesus antwortet mit dieser Erzählung auf die Frage, wie wir das "ewige Leben ererben", wie wir also ein neues Leben in Gottes Reich zum Geschenk erhalten. Und das ist die Antwort Je- su: Liebe Gott und liebe deinen Nächsten, wie es dir die Geschichte vom Samariter zeigt. Klingt doch eigentlich recht einfach - und es ist wohl auch einfach, wenn man diese kurze Vor- schrift einmal mit dem theologischen Lehrgebäude unserer christlichen Kirchen vergleicht, an dem ja heute noch gebaut wird. "Liebe Gott und deinen Nächsten - wie dich selbst", dafür will Gott uns mit seiner Ewigkeit beschenken, dafür allein! Mir fiel dazu ein Lutherwort ein: "Liebe - und dann tu was du willst!" Und die Worte des 1. Korintherbriefes kamen mir in den Sinn, die vom so ge- nannten Hohenlied der "Liebe, die die größte unter den christlichen Tugenden" ist... Immer wieder wird das gesagt: Es braucht nur "Liebe"...zu Gott und zum Mitmenschen. Nur sie ist nötig, nur sie führt zum ewigen Leben. Das ist die ganze - einfache - christliche Aufgabe. - Ist sie aber wirklich so einfach? Denken wir doch einmal an den Mann aus Samaria, der sich in Jesu Erzählung so "barmherzig" verhält; war das leicht für ihn, seinen Esel anzuhalten, als er den blutverschmierten Menschen an der Straße liegen sah? Und als er dem Überfallenen dann ins Gesicht schaute, erkannte, daß er ei- nen Halbtoten, Ausgeraubten vor sich hatte, der ihm für seine Güte keinen Pfennig geben könnte... War das wohl leicht für ihn, dem Verletzten die schmutzigen Wunden auszuwaschen, ihn in die Herberge zu bringen und für seine weitere Pflege zu sorgen? Der Samariter hat doch wirklich nur Scherereien mit seiner selbstlosen Güte gehabt: Unangenehme, ekelerregende Arbeit an dem Über- fallenen, Zeitverlust, finanzielle Aufwendungen... Und er wird wahrscheinlich nichts davon zu- rückerstattet bekommen haben und mußte damit rechnen, noch bevor er seinen Esel angehalten hat! - Ist solche Liebe einfach? Oder denken wir an so viele Menschen ganz in unserer Nähe: Jahrelang versorgt da jemand seine kranke Mutter. Jahrzehntelang nimmt da einer alle möglichen Opfer an Zeit und Kraft auf sich, um einem Mitmenschen das Leben zu erleichtern. Wie viele tragen am Los anderer mit, ohne mit ihnen verwandt zu sein, ohne also vor der Gesellschaft eine Veranlassung und Verpflichtung dazu zu ha- ben!? Wie viele machen sich mit dem, was sie für andere leisten, buchstäblich kaputt - und die Ge- genleistung ist vielleicht nur ein Dankeschön ab und zu. Und wie viele - auf der anderen Seite - spotten dann noch über solche Leistungen, schütteln den Kopf über die Hilfe, die wir geben und wollen uns einreden, wir seien doch wohl nicht recht gescheit, uns so abzurackern, wo doch nichts herausspringt und all unsere Mühe ja doch nichts einbringt. - Wenn wir dann doch dabeibleiben, weitermachen, schaffen und helfen...nur für andere - ist solche Liebe einfach? Und wie sieht es damit aus: Einer erleidet einen Schicksalsschlag nach dem anderen. Krankheit, Arbeitslosigkeit, ein früher Abschied in der Familie, dann noch ein Unfall... Und doch kann er am gütigen Vater im Himmel festhalten. Und doch wird er nicht irre an der Treue Gottes zu seinen Leuten. Und wir können uns gut vorstellen, was ein solcher Mensch tagtäglich von seinen "Freun- den" hören muß: "Du glaubst immer noch an einen Gott? Was hilft dir denn jetzt dein Jesus, von dem du immer sprichst? Du siehst doch, daß dir alles Beten und in die Kirche Rennen nichts ge- nützt hat!" Und noch einiges mehr, werden sie sagen. Trotzdem: Der so Geschlagene bleibt bei sei- nem Glauben. Ja, in seiner Not hält er sich nur noch fester an Gott. Es gelingt ihm sogar, noch das wenige Gute in seinem Leben wahrzunehmen und dafür zu danken. Er läßt nicht von seinem Gott. Er hängt an ihm. - Ist solche Liebe zu Gott einfach? Eine Frage, die sich - so gestellt - von allein beantwortet: Diese Liebe ist das schwerste, was Men- schen aufbringen können. Solche Liebe, als Aufgabe der Christen, reicht nun wirklich, um ein gan- zes Leben auszufüllen und unsere ganze Kraft zu beanspruchen! Darum ist ihr auch der größte Lohn verheißen: Das ewige Leben. "Liebe" - vor der Größe dieser Aufgabe werden alle anderen Gebote und alle menschlichen Gesetze klein. "Liebe - und dann tu was du willst"! Wer wird, wenn er damit ernst macht, überhaupt noch dazu kommen, zu tun "was er will"? "Liebe", die höchste der christlichen Tugenden! - wer wird noch Zeit und Kraft haben, sein Herz an etwas anderes zu hän- gen? "Liebe", sie ist das schwerste und beste, was wir geben können! Liebe Gemeinde, wir haben jetzt so viel von "Mühe", "Aufwendungen", "Leistung" und "Aufgabe" gehört. Und auf der anderen Seite war von der "Ewigkeit als Geschenk" und vom "Lohn des ewigen Lebens" die Rede. Ist unser ganzer Christenglaube denn wirklich nur ein "Dienst in der Liebe", der dann sozusagen als Gegenleistung den "Himmel, das Reich Gottes" erwirbt? Fast sieht es jetzt so aus. Aber - und das war für mich die zweite überraschende Entdeckung beim neuen Lesen der Sa- mariter-Geschichte: Wo gibt es denn einen "Lohn" für den Mann aus Samaria? Kein Wort verliert Jesus darüber, ob der Barmherzige denn wenigstens je seine zwei Silbergroschen zurückerhalten hat, geschweige denn, daß sich seine Barmherzigkeit für ihn irgendwie gelohnt hätte! Der Samariter tut sein Liebeswerk offenbar ganz frei von solchen Verdienstgedanken. Wir - wenn wir diese Erzählung Jesu hören - sollen darum gewiß auch nicht an den Lohn, den Gegenwert unserer Liebe denken. - Macht das aber die Aufgabe dieser Liebe zu Gott und den Menschen nicht noch schwieri- ger? Und dann: Warum verspricht Jesus denn solcher Liebe das ewige Leben, wenn wir - beim Tun dieser Liebe - doch nicht auf Lohn schielen sollen? - Wie löst sich diese Frage? Ich denke, wir haben jetzt noch einen - den wichtigsten! - Gedanken vergessen: Es gibt ja doch noch den Erzähler der Geschichte vom barmherzigen Samariter! Wenn wir heute von dem guten Mann aus Samaria hören, dann sehen wir nicht nur ihn, wie er bei dem Verletzten niederkniet und seine Wunden wäscht, dann sehen wir auch den, der für alle Leidenden dieser Welt in die Knie ge- gangen ist und mit seinem Blut alle Schuld von den Händen und Herzen aller Menschen gewaschen hat. Und wenn wir uns über den Samariter wundern, der soviel Liebe für seinen Nächsten aufbringt, ohne irgend einen Lohn dafür zu erhalten, dann müssen wir noch viel mehr über den staunen, den seine Liebe zu allen Menschen ans Kreuz führt und dessen Lohn für seine Güte - der Tod ist. Der Samariter mag ohne dieses Vorbild Jesu, aus sich selbst heraus die Taten seiner Liebe erbracht ha- ben, wir haben immer diesen einen als Beispiel vor Augen, der uns in allen Werken der Liebe vo- rausging und uns damit erst das ewige Leben in Gottes Nähe verdient hat. Vielleicht lösen sich unsere Fragen nach dem "Lohn" unserer Liebe, oder ob wir nicht auch ohne Verdienstdenken lieben sollen, darum jetzt so: Wir dürfen heute, in unserem Leben und Lieben, von Jesus Christus und seinem Beispiel ausgehen. Seine Liebe ist uns immer voraus, sie kommt uns immer zuvor und sie hat uns auch immer schon das ewige Leben erworben. Dahinter können und dahinter brauchen wir nicht zurück. Ihm sei Dank dafür. Sein selbstloses Vorbild will uns die Kraft schenken, es ihm nun nach zu tun. Und kein Werk der Liebe - ob wir es um Lohnes willen tun oder auch nicht - wird ohne Lohn bleiben: Hier, in dieser Welt, schenkt uns die Liebe, die wir aufbrin- gen, Inhalt und Sinn. In Gottes neuer Welt schenkt sie uns ewiges Leben. Verdient hat uns das nur einer und ein für allemal: Jesus Christus. Laßt uns ihm folgen, wenn er uns heißt: Geh hin und tu desgleichen!