Predigt am 6. So. nach Trinitatis - 27.07.2003 Textlesung: Mt. 28, 16 - 20 Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Mich berührt das immer wieder seltsam und doch sehr tröstlich, wie ehrlich die Heilige Schrift ist. Da wird nichts beschönigt. Da werden auch die schlechten Eigenschaften der Vertrauten Jesu nicht verschwiegen - denken wir nur an Petrus, der seinen Herrn dreimal verleugnet. Auch über die bösen Taten der sonstigen biblischen Prominenz wird kein Schleier gebreitet - erinnern wir uns an den Ehebruch Davids mit Bathseba oder an die Zeit im Leben des Paulus, als er noch die Christen ver- folgt hat. Aber wo ist hier, in diesen Versen heute, die besondere "Ehrlichkeit" der Schrift? - Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Stellen sie sich vor: Es geht um den Ab- schied von Jesus und es sind die Jünger, die er auf den Berg bestellt hat. Sie ahnen ja vielleicht noch nicht, daß er gleich vor ihren Augen in den Himmel aufgehoben wird, aber immerhin liegt doch Ostern schon hinter ihnen. Sie haben ihren Herrn am Kreuz sterben sehen, sie wissen, daß er wirklich tot war und er ist ihnen als der Auferstandene wieder begegnet... Aber sie zweifeln! We- nigstens "einige". Warum hat Matthäus das nicht einfach aus seinem Bericht entfernt? Das hätte doch niemand bemerkt und wenn doch, keiner hätte daran Anstoß genommen. Aber nein, Matthäus will auch das in seinem Evangelium haben, wie er eben z.B. auch das unrühmliche Verhalten eines Petrus, der vor lauter Angst um sein Leben den Herrn verleugnet, in seiner "Frohen Botschaft" nicht mit gnädigem Schweigen bedeckt. - Warum nicht? Stellen wir uns vor, diese Hinweise auf die doch sehr menschlichen Dinge wie Angst, Zweifel, Ver- sagen oder auch Hochmut stünden alle nicht in den Geschichten der Bibel. Einmal abgesehen da- von, daß es ja nicht richtig wäre, die Wahrheit zu frisieren, aber würde die Heilige Schrift da nicht viel von ihrer Menschlichkeit verlieren? Und ganz persönlich gesprochen: Würde uns das noch so berühren, was uns über die Erfahrungen der biblischen Menschen mit Gott, mit Jesus Christus und dem Glauben erzählt wird, wenn dabei alle anstößigen Charakterzüge dieser Menschen, alle schlimmen Taten und bösen Beweggründe einfach ausgeklammert würden? Was wären das dann für Menschen? Doch nicht mehr solche aus Fleisch und Blut? Keine Frauen, mit denen wir uns i- dentifizieren könnten, keine Männer, mit denen wir irgend etwas gemein hätten. Und hier: Wenn wir nicht auch erführen, daß sie gezweifelt haben, die Jünger? Es fiele uns schwer zu sehen, daß es sich bei den Vertrauten Jesu doch um Menschen wie du und ich handelt, Leute, die trotz allem, nach jahrelanger Freundschaft mit Jesus, nachdem sie viele seiner Wunder erlebt und viele Heilungen erfahren haben, nach Tod und Auferstehung immer noch nicht überzeugt sind von ihm, immer noch nicht glauben können. Nun hören wir es aber! Selbst diese elf Männer zweifeln. Selbst denen, die Jesus doch als Mensch und dann als auferstandenen Gottessohn gesehen und ken- nen gelernt haben, war das noch nicht genug dazu, ihm zu vertrauen. Und das verschweigt uns Mat- thäus nicht, sondern er spricht es deutlich aus. Und wir ahnen jetzt, warum... Das ist wirklich enorm tröstlich! Mir sagt das: Du bist nicht in der schlechtesten Gesellschaft, wenn du dir immer wieder einmal - besonders in ganz schweren Zeiten deines Lebens - diese Gedanken machst, die du am liebsten unterdrücken möchtest: Wie kann Gott dieses Leid zulassen? Warum greift er nicht endlich einmal ein? Kann überhaupt ein Vater im Himmel sein, wenn er nicht ver- hindert, was wir doch täglich an schlimmen Verbrechen an Unschuldigen, oft an Kindern, in der Zeitung lesen? Und manchmal ist das ja ganz persönlich: Wie kann Gott dir diese Krankheit, dieses Unglück schicken? - Noch einmal: Ich bin in den Stunden mit solchen Anfechtungen und Zweifeln nicht allzu weit entfernt von denen, die doch Jesus ganz nah waren, ihn mit ihren leiblichen Augen gesehen, in ihrem Leben erfahren haben. Und noch eins - vielleicht ja viel wichtiger: Ich bin auch Jesus in diesen Stunden nicht fern! Er wußte um die Schwäche und Unzulänglichkeit seiner Jünger, er kannte ihren Kleinglauben und er wollte doch mit ihnen zu tun haben. - Unser Mangel an Ver- trauen, mein kleiner Mut und die immer neuen Fragen, ob der Glaube denn verläßlich ist..., alles das trennt uns nicht von unserem Herrn, nein, es bringt uns nur noch näher zu ihm: Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte! Solche Leute wie die Jünger, solche Leute wie uns kann Jesus brauchen! Und jetzt, mit diesen Gedanken im Kopf und im Herzen, lesen wir weiter: Mir ist gegeben alle Ge- walt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Was unser Herr uns hier zutraut, ist nicht zu groß für uns! Wir können nicht mehr auf Petrus, Tho- mas oder Paulus weisen und sagen: Diese Glaubenshelden, diese Menschen ohne Fehl und Tadel mögen einen solchen Auftrag Jesu erfüllen können, aber doch nicht wir, doch nicht ich! Petrus ist ein Verleugner gewesen. Thomas mußte erst seine Hände in Jesu Wundmale legen, um sich zu ü- berzeugen, daß es sein Herr war, der vor ihm stand. Und Paulus bezeichnet sich selbst als eine "Mißgeburt", weil er zahllose Christen gejagt und getötet hat. Und als Jesus von ihnen scheidet und gen Himmel auffährt, da "zweifeln immer noch einige". Nehmen wir heute diese Aufgabe als unsere: ...lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe! Liebe Gemeinde, da ist vielleicht für uns gemeint, daß wir uns wieder oder zum ersten Mal auf un- sere Verantwortung unseren Kindern und Enkeln gegenüber besinnen. Es ist so viel in den letzten Jahren kaputtgegangen. Überall wird lautstark - und mit Recht! - beklagt, wie die Umgangsformen verrohen und die Werte verloren gehen. So manches früher selbstverständlich beachtete Gebot Got- tes, wird ohne jeden Skrupel - häufig ohne es noch zu kennen! - mißachtet. In der Schule finden oft nur noch die Stärksten Beachtung oder die mit den teuersten Klamotten. Nicht Argumente, Fäuste und Markenzeichen leisten Überzeugungsarbeit. In den Familien herrscht ein Ton wie auf einem Gefängnishof. Wer schreit am lautesten? Am Sonntag muß Papa aufarbeiten, was die Woche über liegen geblieben ist oder den Wagen waschen. "Sag ja nicht, daß dein Fahrrad nicht abgeschlossen war, sonst kriegen wir nichts von der Versicherung!" Und es fehlt oft einfach am guten Vorbild: Wie soll das eigentlich gelingen, den Jungen und Mäd- chen in der Konfirmandenzeit den Glauben wichtig, den Kirchgang und die Gemeinschaft der Christen lieb und wert zu machen, wenn ihre Eltern doch so ganz offenkundig auf all das pfeifen? Und wie sollen Kinder zum Gottvertrauen und zum Gebet finden, wenn sie niemand durch prakti- sche Übung dahin führt? Und - auch das wird in den letzten Jahren auch bei uns immer häufiger - warum geben Eltern so schnell nach, wenn ihre Kinder sich nicht konfirmieren lassen wollen oder aus dem Religionsunterricht austreten? Aber auch den Erwachsenen gegenüber ist uns mit diesem Wort ein klarer Auftrag gegeben: ...lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe! Warum sagen wir dem Nachbarn nicht einmal freundlich, daß uns das stört, wenn er wirklich jeden Sonntagmorgen pünktlich dann, wenn wir uns zum Gottesdienst aufmachen, seinen Wagen shampooniert? Das kann man doch nicht machen, sa- gen sie? Es gibt auch die Erfahrung, die viele schon gemacht haben, daß sich aus solchen Hinwei- sen oft die besten Gespräche entwickeln, hilfreich für beide Seiten! Und wie häufig sagen wir nur, der oder die aus unserer Umgebung hält halt nichts vom Christen- tum und der Kirche... Gefragt aber haben wir lange nicht oder noch nie, ob er oder sie uns nicht einmal zum Gottesdienst oder dem Bibelkreis begleiten möchte? Schließlich ist auch das für viele Christen und Christinnen heute eine große Schwierigkeit: Einfach im Alltag zu zeigen, daß man Christ, Christin ist. Also vielleicht auch in der Öffentlichkeit eines Lokals kurz den Kopf senken und ein Tischgebet sprechen. Oder beim Geburtstag mehr sagen als das Sprüchlein von der "guten Gesundheit" und den "hoffentlich noch vielen schönen Jahren"... Warum nicht einmal Gottes Segen wünschen? Den brauchen wir und alle Menschen gewiß am nö- tigsten! Liebe Gemeinde, ich bin sehr dankbar dafür, daß die Freunde Jesu Christi ganz einfache, "normale" Menschen waren, solche mit Fehlern und Schwächen, unzulänglich und nicht mit einem makello- sen Charakter und einem Glauben wie der Erzvater Abraham. Und ich möchte auch von heute diesen Auftrag mitnehmen: Mehr als bisher die Mitmenschen in meinem Reden und Verhalten aufmerksam zu machen, was Christen glauben und wie sie heute le- ben. Ich will das ganz ohne Hochmut und Überheblichkeit tun, aber doch auch nicht so verschämt und zurückhaltend wie bis heute. Schließlich will ich mich auch davon stärken und immer wieder neu anspornen lassen, was mir und uns allen der Herr Jesus Christus verspricht: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.