Predigt zum Sonntag "Trinitatis" - 16.6.2003 Liebe Gemeinde! Der Predigttext, der uns für heute vorgeschlagen ist, enthält ein Rätsel. Und weil das so ist, habe ich mir für heute gedacht, wie könnten zusammen versuchen, dieses Rätsel zu lösen. Aber bevor wir an die Lösung gehen können, müssen wir es erst einmal hören: Textlesung: Jh. 3,1-8 (9-15) Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden. Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, daß ich dir gesagt habe: Ihr müßt von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist. Nikodemus antwortete und sprach zu ihm: Wie kann dies geschehen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bist du Israels Lehrer und weißt das nicht? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen ha- ben; ihr aber nehmt unser Zeugnis nicht an. Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sage? Und niemand ist gen Himmel aufgefahren außer dem, der vom Himmel herabgekommen ist, näm- lich der Menschensohn. Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muß der Men- schensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Daß sie jetzt nicht auf die falsche Fährte geraten: Das Rätsel ist nicht, warum dieser Nikodemus zu Jesus "bei Nacht" kommt, wie es heißt. Das ist vielmehr sonnenklar! Damals wie heute werden Menschen ja mit dem identifiziert, wo sie "hingehen". Wer auf den Fußballplatz geht, ist schnell als Anhänger der einen oder anderen Mannschaft ausgemacht. Wenn einer als Streikposten vor dem Werkstor steht, weiß jeder, daß er in der Gewerkschaft ist. Und wenn einer zu Jesus geht, dann muß er damit rechnen, daß man ihn fragt: Teilst du etwa die Gedanken dieses Mannes aus Nazareth? Versuchst du wirklich, so wie er zu leben? Glaubst du gar von ihm, daß er der Sohn Gottes ist und daß er allein uns retten kann? Nikodemus damals war nicht bereit, sich bei Jesus sehen zu lassen. Darum kommt er bei Nacht und Nebel. - Und wir? Aber wie gesagt, daß ist nicht das Rätsel. Das ist offen am Tag: Wenn wir wirklich zu ihm gehören, dann werden es die Leute merken und sehen. Und wenn nicht? Dann auch - und so ist es leider zu- nehmend in unserer Zeit. Und wir müssen uns doch wirklich fragen, warum sich manche Zeitge- nossen denn überhaupt noch Christen nennen und nennen lassen, wenn sie doch in Jesu Nähe nie zu sehen sind und ja auch nicht dort gesehen werden wollen!? Das Rätsel jedenfalls ist dies, Nikodemus spricht es aus: "Wie kann ein Mensch neu geboren wer- den, wenn er alt ist?" Wir wollen uns dabei nicht irritieren lassen: ...wenn er alt ist... Wir können auch noch ganz jung sein, die Frage ist trotzdem: Wie können wir neu geboren werden? Und das soll und muß - wie Jesus sagt - geschehen, wenn wir zu Gott gehören und in sein Reich eingehen wollen! In den Leib unserer Mutter können wir ja in jedem Fall nicht mehr zurück. - Wie lösen wir das Rätsel? Hören wir noch einmal genau hin. Jesus gibt nämlich auch Hinweise, die uns helfen, des Rätsels Lösung zu finden: "Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen." Aus "Wasser geboren"...da ist gewiß unsere Taufe gemeint. Getauft sind wir. Die eine Vorbedin- gung erfüllen wir also schon einmal. Aber "geboren aus dem Geist"...was heißt das? Wir denken im ersten Augenblick sicher an die Worte, die wir an Pfingsten über den Heiligen Geist und seine Wir- kung vernommen haben: Vielleicht an sein Brausen, wenn er daherfährt wie ein Sturm. Oder an die Flämmchen auf den Köpfen der Apostel am Pfingstmorgen. Oder auch an das Wunder, daß sie in allen Sprachen der Welt von Gottes großen Taten verkündigen konnten. - Aber wenn wir ehrlich sind: Wir können das alles nicht so recht nachvollziehen. Wir haben noch nichts davon erlebt. - Oder doch? Was jedenfalls feststeht, ist dies: Es muß sich bei der Lösung des Rätsels um Dinge handeln, die nicht wir machen, sondern die an uns geschehen: Schon das "geboren werden" geschieht ja an uns. Und wenn wir an die Taufe denken, auch das hat man an uns getan, sicher meist, ohne daß wir gefragt wurden. Und wenn der Geist an uns wirkt? Wie ist es damit? Und die wichtigste Frage ist eben: Wirkt er überhaupt noch an uns, in unseren Tagen? Ich habe lange darüber nachgedacht und denke, daß jetzt eine für sie überraschende Antwort kommt: Ja, der Heilige Geist wirkt in unserer Zeit. Und Gott sei Dank, nicht weniger als in den Ta- gen der Apostel. Und auch gar nicht anders als damals. Allenfalls ein wenig leiser und etwas ver- borgener. Es braust nicht unbedingt, aber es weht. Es sind keine Flammen zu sehen, aber es brennt. Wir reden nicht unbedingt gleich griechisch oder chinesisch, aber die Sprache der Liebe lernen wir sprechen. Und noch eines ist heute ähnlich wie vor bald 2000 Jahren: Wir können uns durchaus auch verschließen und verstocken, wenn der Geist Gottes über uns kommt. Die Jünger hätten ja auch in ihrer Stube bleiben können, bis die Feuerflamme ausgebrannt und das Brausen vom Him- mel wieder verstummt wäre. Sie hätten auch nicht unbedingt hinausgehen müssen, um fremden Leuten von Jesus zu predigen. Bequemer wäre es allemal gewesen: Einfach abwarten bis alles vor- bei ist. Bequemer ist es auch heute: Warten bis der Geist wieder vorbeigezogen ist und bis dahin gar nichts tun... Bloß: Langweilig ist es auch! Aber sie wollen jetzt sicher endlich wissen, wie und wo der Geist heute weht, wo er brennt und wo- zu er uns anstecken will - und mir sind dazu wirklich eine ganze Fülle kleiner, im Grunde aber un- endlich wichtiger Beispiele eingefallen, und - was das beste ist - sie sind allesamt erlebt, erfahren und wirklich geschehen in unseren Tagen. Drei davon will ich erzählen: Eine Frau aus einer Nachbargemeinde ruft mich an, um mir für einen Gottesdienst zu danken, den ich dort gehalten habe. Sie wäre reich beschenkt nach Hause gegangen! - Ja, ich glaube, da hat der Geist Gottes geweht. Die Frau hätte ja auch schweigen können, wie fast alle anderen sonst. So aber hat sie mir eine große Freude gemacht, mich ermutigt und aufgebaut. Ein Mann, seit einiger Zeit im Rentenstand, bekommt mit, daß ein Nachbar ins Krankenhaus muß. Von selbst bietet er an, die Frau des Kranken, die nicht Auto fahren kann, in die Kreisstadt zum Be- such der Klinik zu fahren. Von da an fährt er die Frau fast vier Wochen lang täglich. - Auch da sehe ich den Heiligen Geist am Werk. Der Mann hätte auch wegsehen und -hören können, wie manche anderen in der Straße, die auch einmal hätten einspringen können. So aber - durch diesen einen Mann - konnte mindestens eine Frau glauben, daß es heute noch hilfsbereite Menschen gibt. Ein junges Mädchen, Schülerin der 12 Klasse, hört zufällig, daß der Junge von schräg gegenüber Probleme in Mathe und Englisch hat. Mathematik ist ihre Stärke! Englisch mag sie auch. Also spricht sie den Jungen an und gibt ihm zweimal die Woche Nachhilfe - kostenlos für die Eltern des Jungen, die sich Nachhilfe nicht leisten könnten. - Auch mit solchen Dingen hat der Heilige Geist zu tun! Das Mädchen hätte sich ja auch sagen können: Was geht mich dieser Junge an? Und: Wenn sie nicht zahlen, dann schon gar nicht. So aber hat sie mitgeholfen, daß eine Familie ein paar Sor- gen weniger hat und ein Junge mit ein paar Chancen mehr in das Leben nach der Schule geht. Wie gesagt: Noch viele Beispiele hätte ich. Die wären allerdings manchmal ein bißchen zu deutlich und dann würden manche sagen: Das hätten sie aber nicht ansprechen müssen... Aber kommen wir jetzt zur Auflösung des Rätsels. Sprechen wir das wenigstens deutlich aus: Wie kann der Mensch wiedergeboren werden...? Ich glaube, das geht so: Du spürst in dir, da könntest du helfen. Oder du fühlst, das würde diesem Menschen eine große Freude schenken. Oder dir geht auf, wenn ich es nicht mache, dann macht es keiner. Und das bleibt eben nicht bei diesen Gedanken und Gefühlen. Da treibt etwas, es auch zu tun, auch zu folgen, wie man es für gut und richtig erkannt hat und eben nicht die Hände in den Schoß zu legen und zu warten, bis ein anderer auch auf die Idee kommt - denn da warten wir ver- geblich! Ja, da brennt etwas in uns und will zur Flamme werden. Da weht ein Wind, der wenigstens ein paar Vorbehalte, Hemmungen oder Ängste wegblasen will. Da spricht einer und merkt, daß er die Sprache der Nächstenliebe schon ganz gut beherrscht. - Und wenn jemand jetzt denkt: Das soll Wiedergeburt sein - nicht mehr? Nichts Größeres? Dem sage ich: Ach, wenn es doch nur eine solch kleine Geburt wäre. Und wenn sie nur hie und da bei uns allen geschähe! Unsere Gemeinde und die Welt wären bald nicht wieder zu erkennen!