Predigt zum Sonntag "Exaudi" - 1.6.2003 Liebe Gemeinde! Vor Jahren war ein indischer Bischof bei einer Gemeinde im Himmelfahrtsgottesdienst zu Gast. Er hat bei seiner Ansprache den Menschen ein Beispiel dafür gegeben, wie man auch eine sehr schwie- rige biblische Botschaft verstehen kann. Der Gast hat in sehr einfachen Worten erklärt, was für ihn und für uns "Himmelfahrt" bedeutet. Die Art, wie dieser Mann gesprochen hat, war klar, natürlich und sehr bildhaft - und hat die Menschen fasziniert. "Wenn ein Kind in den Fluß gefallen ist", so hat er gesagt, "dann hilft es ihm nicht, wenn wir am Ufer stehen und gaffen, dann müssen wir ins Wasser hineinspringen und es herausholen! Wenn Christus aufgefahren ist in den Himmel und noch soundsoviele Menschen in unserer Nähe ohne Glauben und ohne Kontakt mit seiner Sache leben, dann hilft es nicht, wenn wir die Köpfe in den Himmel recken und mit großen Augen dem Herrn nachsehen." Diese Bilder leuchten ein. Solch eine einfache Sprache möchte man allen Predigern wünschen! Uns heute soll das Beispiel dieses indischen Bischofs anregen, den heutigen Predigttext auch einmal so einfach sprechen zu lassen, und in leicht verständlichen Bildern. - Aber hören wir erst einmal auf die Worte aus dem Johannes-Evangelium, die uns heute als Predigttext vorgeschlagen sind: Textlesung: Jh. 15, 26 - 16,4 Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahr- heit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir. Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen. Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt. Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt aber die Zeit, daß, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit. Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen. Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr daran denkt, daß ich's euch gesagt habe. Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei euch. Liebe Gemeinde, jeder von uns hat diese Verse wahrscheinlich anders gehört. Den einen haben sie getröstet, den anderen angestoßen, einem dritten waren sie ein Rätsel; ein vierter weiß nicht so recht, etwas damit anzufangen. Ich will das nicht werten. Ich will es nur feststellen. Wenn ich also jetzt sage, was die Worte des Johannes bei mir ausgelöst haben, dann heißt das nicht, alles andere Verständnis und Fragen zu diesen Versen sei falsch oder unberechtigt. Ich glaube aber: Die Gedan- ken, die sich bei mir an diesen Predigttext geknüpft haben, könnten uns allen etwas sagen. - Aber jetzt genug mit den Vor-worten. Bei mir sind 2 Begriffe gleich beim ersten Lesen hängengeblieben: "Beistand" und "Zeugen". - Wie hieß das genau: Ihr sollt meine Zeugen sein! Jesu letzte Worte an seine Jünger, seine Leute...an uns! "Zeugen..." Ich verfolge jetzt in Gedanken einmal einen von uns Durchschnittschristen durch seinen Tag: Auf- stehen, Frühstück und - wenn es hoch kommt - noch ein paar Worte zum Ehepartner, dann die Fahrt in den Betrieb, die Fabrik, das Büro, oder auch zu Hause - wenn wir in der Landwirtschaft tätig sind - die Arbeit im Stall, auf dem Feld oder wo sonst wir unser Brot verdienen. Später das Mittagessen in der Kantine oder auch im Kreise eines Restes der Familie, vielleicht auch allein. Dann wieder Arbeit bis zum Feierabend, Fahrt nach Hause, bis gegen 19 Uhr noch so einige kleine Verrichtungen, dann - nach dem Abendbrot - bei dem sich vielleicht einmal alle Hausgenossen an einem Tisch ver- sammelt haben - Fernsehen oder Singstunde oder der Abend eines anderen Vereins... Schließlich geht man zu Bett und schläft einem Tag entgegen, der genau so oder ähnlich verlaufen wird. Und das geht schon seit Jahren so und wird auch wohl noch Jahre so weitergehen, bis... Jetzt habe ich ein Bild vor ihre Augen gemalt, ein sehr einfaches Bild eines Tages. Ihr persönlicher Tag hat sicher etwas andere Züge. Beim einen ist noch mehr Grau drin, beim anderen ein wenig mehr Farbe, als ich sie aufgetragen habe. Erkannt haben die meisten das Bild....ihren Tag... In diesen Tag hinein, in dieses Leben ruft nun Jesus Christus: "Ihr sollt meine Zeugen sein!" Ihr sollt zeigen, wir gehören zu diesem Herrn, wir sind seine Leute, seine Nachfolger, wir glauben an ihn... Wenn wir jetzt noch einmal das Bild unseres Alltags vornehmen und betrachten..., wo ist da eigentlich ein Platz für dieses Wort und diese Sache: "Zeuge des Herrn" zu sein? Wo können wir nur den Auftrag unterbringen: "Ihr sollt meine Zeugen sein!"? Nun, vielleicht lassen sich am Morgen zwischen Aufstehen und Frühstück noch fünf Minuten ein- schieben, für das Lesen einer Morgenandacht, für die Tageslosung und ein Gebet. Das ist gewiß schon etwas. Aber "Zeuge sein", heißt das nicht doch mehr? Vielleicht machen wir auch demnächst wieder einmal einen Versuch, unsere Kinder, auch wenn sie schon erwachsen sind, auf den Glauben der Christen und ihr eigenes Konfirmations-Gelöbnis anzusprechen. Nicht ganz leicht, gewiß! Aber wichtig und nötig! Nur: Wann wird die Zeit dafür einmal günstig sein? Und ob wir dann unseren Vorsatz nicht schon wieder vergessen haben? "Zeuge sein", das hat schon seine Probleme! Irgendwie gibt unser Alltag, unser Leben, wie es da in so festen Bahnen verläuft, wenig Raum dafür. Das Bild unseres Tages zeigt das deutlich: Allenfalls für ein paar Striche ist noch Platz. Ein Farbtupfer hier und dort... Wie folgt man da dem Auftrag des Herrn meines und deines Lebens, des Schöpfers der Welt und aller Menschen, des Erhalters, des Richters, vor dessen Thron wir einmal erscheinen müssen? Wie nur werden wir dem gerecht: Ihr sollt meine Zeugen sein? - Kehren wir zurück zum "Bild unseres täglichen Lebens", in dem kein Raum ist dafür, Zeugnis für den Herrn abzulegen: Wer hat das Bild eigentlich gemalt? Wessen "Werk" ist das Gemälde unseres Lebens? Wenn wir uns das ehrlich fragen, merken wir schnell: Wir selbst sind die "Maler"- die Schöpfer des Bildes, vor dem wir heute stehen. Gewiß, der eine oder andere große Teil des Gemäldes rührt her von bloßer Notwendigkeit, von Pflicht, von Dienst und Arbeit, die wir einfach tun müssen, um uns und die Angehörigen zu ernähren. In diesen Bereichen des Bildes wurden uns sozusagen "die Hände geführt". Was aber ist mit den bunten Flächen, die unsere freie Zeit darstellen, deren Form und Farbe wir bestimmen und beeinflussen können? Haben wir da nicht wirklich auch alles selbst festgelegt? Sind das nicht unsere "Termine", die wir uns ein- gerichtet haben, der Aufwand an Zeit und Kraft, den unser Verein kostet. Dort sind auch unsere fes- ten Gewohnheiten, wie die Wagenwäsche am Samstag und das Mähen und Heckenschneiden im Garten. Dort ist schließlich auch der mehr oder weniger große Bereich der Entspannung, wenn ich ''ganz mir gehöre" und ich "ganz ich selbst sein will". - Nur - jetzt sind wir wieder an derselben Stelle - wo ist er, der Herr, dessen Zeuge wir sein sollen? Wo ist der Platz, den ich ihm lasse? - Nun, der Gottesdienst heute müßte in unser Lebensbild eingetragen werden! Gut, tun wir das. Und schauen wir uns das Bild dann wieder an: Kann dieser kleine helle "Klecks" wirklich all die ande- ren großen - oft grauen - Flächen aufwiegen? Ja, vielleicht geht von ihm noch ein wenig Strahlen, ein wenig Kraft aus, die sich über die angrenzenden Bereiche legen - aber sonst? - Ich glaube, sie spüren jetzt auch: Bei unserem Bild, beim Gemälde unseres alltäglichen Lebens helfen keine klei- nen Schönheitskorrekturen. Was ist der rote Tupfer in einem Meer aus Grau? Wenn nirgends mehr Raum ist für den Herrn und mein Zeugnis für ihn, dann müssen wir diesen Raum neu schaffen!: Er- greifen wir den Pinsel, tauchen wir ihn in Weiß und übermalen wir einen Bereich unserer freien Zeit, wo wir "uns selbst gehörten", wie wir meinten, und der doch auch längst farblos und stumpf geworden ist. Und dieses Weiß kann jetzt den Grund abgeben, auf den wir die Sache Gottes, unser "Zeuge sein", neu in unser Leben hineinzeichnen. Ich weiß von Menschen, die haben auf diesen weißen Grund die treue "Teilnahme am Bibelkreis" ihrer Kirchengemeinde gemalt. Andere machen regelmäßig Besuche bei alten, einsamen Menschen. Wieder andere sprechen bei allen möglichen Gelegenheiten andere auf den Glauben der Christen an. Und ich weiß auch von diesen Leuten, daß auf diesem vielleicht kleinen weißen Feld ihres Le- bens-Bildes eine Fülle von Formen und Farben entstanden sind, über die sie selbst nur staunen konnten! Ob sie da nicht den "Beistand" erlebt haben, der denen verheißen ist, die zu "Zeugen des Herrn" werden? Ob es nicht überhaupt für uns das wichtigste wäre, unser Leben mehr und mehr aus den eigenen Händen zu geben und einem anderen in die Hand zu legen? Je mehr wir uns loslassen und unser Leben ihm überlassen, um so mehr Hilfe und Beistand werden wir erfahren! - Wann ü- bermalen wir einen ersten Bereich unseres Alltags mit Weiß? Wann fangen wir an, darauf dann vie- le farbige Bereiche anzulegen, in denen wir Zeuge unseres Herrn werden?