Predigt zum So. "Quasimodogeniti" - 27.4.2003 Textlesung: Jh. 20,19 - 29 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen ver- schlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ih- nen: Friede sei mit euch! Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, daß sie den Herrn sahen. Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben. Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ih- nen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Tho- mas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! Liebe Gemeinde! "Quasimodogeniti" heißt dieser Sonntag. "Wie die Neugeborenen"... Gemeint ist: Wie neugeborene Menschen sollten wir uns fühlen, nach Ostern, nach der Auferstehung Jesu, nachdem er den Tod besiegt und uns die Hoffnung auf ein ewiges Leben geschenkt hat. "Wie die Neugeborenen!" - Ein bißchen zu überschwänglich ist das! Mal ehrlich: Fühlen sie sich so nach Ostern, nach Jesu Tod und Auferstehung für uns? Hat sich für dich und mich soviel geändert? Die Geschichte von Tho- mas, der nicht glauben kann, tut einem da richtig gut, nicht wahr? Seh' ich nicht, so glaub' ich nicht! Basta! Für Thomas hat sich nichts geändert - seit Ostern. "Wie neugeboren?" Von wegen! Alles beim alten - bei Thomas und bei uns auch, fürchte ich. Und das ist auch ganz schön schwer, zu glauben, ohne zu sehen. Ich kann sie verstehen, den Jünger Thomas damals und die "Thomasse" heute. Soviel vorweg. "Ich glaube sowieso nicht an Gott", so sagte mir einmal ein junger Mensch aus der Gemeinde. Er war Konfirmand damals. Einige hier sind jetzt vielleicht schockiert! Warum geht ein junger Mensch denn dann zur Konfirmation - wenn er nicht glaubt!? Darf man so einen denn überhaupt einsegnen? Jetzt kommt vielleicht für manche, der zweite Schock: Mir hat das eigentlich damals überhaupt keine Probleme gemacht, diesen "ungläubigen" jungen Menschen so freimütig von sei- nem Unglauben reden zu hören. Wir wollen das doch einmal ganz nüchtern sehen: Wieviele von unseren Konfirmanden etwa der letzten Jahre hätten wohl zu Beginn der Konfirmandenzeit ehrlich sagen können: Ich glaube an Gott und seinen Sohn Jesus Christus? - Gut, sagen sie, aber am Ende der Zeit muß der Glaube doch dann gewachsen sein! "Muß" er das? Kann ich Glauben "machen", durch langes gutes Zureden wie mit einem Trichter in die Köpfe und Herzen füllen? Wie war denn das bei uns? Konnte uns damals einer mit "Reden" überzeugen? War unser Glaube bei der Konfir- mation schon "da"? Wie kamen wir überhaupt zum Glauben? Und können wir heute alles bejahen, was doch zum Glauben der Christen dazugehört, zum Beispiel: Die Auferstehung Jesu Christi von den Toten und die Hoffnung auf ewiges Leben für uns selbst? Wie viele mögen unter uns sein, die gerade das nicht glauben können, weil ihnen die Anschauung fehlt, weil sie nicht "sehen" - wie Thomas! - Ich sage ihnen jetzt ganz ehrlich: Mir sind Menschen lieber, die es frei bekennen: Ich kann nicht glauben; mit diesem und jenem am Glauben habe ich Schwierigkeiten. Mir sind sie lie- ber als die anderen, die ständig von ihrem Glauben reden, ihn - ungefragt - vorzeigen wie einen Ausweis und sich gar noch über andere entrüsten, die keinen oder nur einen kleinen Glauben haben. Entweder wir behaupten: Der Glaube an Gott kann verdient und erarbeitet werden wie der Lohn für eine Leistung - oder aber wir halten uns in diesen Dingen sehr vorsichtig zurück, werden still und dankbar, wenn wir selbst wirklich glauben können! Einen dritten Weg gibt es nicht. Und vielleicht schauen wir auch einmal nach all den Gelegenheiten in unserer persönlichen Vergangenheit, wo unser Glaube versagt hat, wo wir als gläubige Menschen ganz anders hätten handeln und entschei- den müssen. - Das wird uns helfen, die rechte Einstellung zu diesen Fragen zu gewinnen. Doch - ich verstehe diesen Thomas. Mir ist er sympathisch! Er steht zu seinen Kleinglauben. Er spricht das aus: Seh' ich nicht, so glaub' ich nicht! Und wieviele von uns mögen gerade in Sachen "Auferstehung" und "ewiges Leben" auch ein Thomas sein? Wie ich persönlich dazu stehe, ist wohl schon deutlich geworden. Nein, Glaube kann nicht ge- macht, verdient, erworben werden, niemals! Er ist immer ein Geschenk und er bleibt es! Ja, ich kann - so denke ich - heute nicht einmal voraussehen, ob ich morgen noch glauben kann. So viel kann geschehen! Wie oft schon haben Ereignisse, die ein Mensch einfach nicht verkraften konnte, ihm den Glauben hart werden lassen oder gar genommen!? Wie stark würde unser Glaube wider- stehen, wenn uns einmal ein Schicksalsschlag nach dem anderen beutelt? Nein, Glaube bleibt eine Gabe, für die ich nur täglich danken kann! Deswegen machen mir auch die Menschen Sorgen, die immer so vollmundig reden: "Ich habe ja meinen Glauben!" Täglich muß Glaube bewährt werden. Täglich steht er in Gefahr. Täglich braucht er Nahrung, Zuspruch, das Wort, von dem er lebt Täg- lich muß ich danken, daß Gott ihn mir bewahrt! Und Sorgen machen mir besonders die Menschen, die über dem vielen Reden von ihrem Glauben, gar nicht mehr merken, daß ihr Glaube längst tot ist, daß er weder irgendeine Beziehung zu ihrem alltäglichen Leben hat, noch irgendeine Verbindung zu Gottesdienst und Gemeinde. Glaube aber, der nicht jeden Tag gelebt wird - ist tot! Glaube der nicht durch Gottes Wort immer wieder (mög- lichst täglich) genährt und durch die Gemeinschaft der Christen gestärkt wird, der muß sterben! Vor allem: Was macht es letztlich für einen Unterschied, ob nun einer angeblich glaubt oder ob er nicht glaubt, wenn ich ihm das weder ansehen noch abspüren kann? Es gibt keinen Glauben zurückgezo- gen im privaten Kämmerlein. Dort muß und dort wird er verkümmern. Deshalb leiden auch so viele wirklich gläubige Menschen, wenn sie zum Beispiel aus Gesundheitsgründen nicht mehr hinaus können und die Beziehung zu Gottesdienst und Gemeinde abreißt. Doch, noch einmal, mir ist Thomas sympathisch! Er spricht es klar und deutlich aus, was für viele Menschen heute auch gilt: Ich kann nicht glauben, ich möchte schon, aber hinter meinem Leben, hinter Arbeit und Alltag steht kein Glaube, wenn ich ehrlich bin. Ich lebe wie die, die ohne Hoff- nung sind. Ich habe Ängste wie die, die nichts von Jesus wissen. Ich bin in allem verwechselbar mit denen, die nicht glauben können. Ich bin wie Thomas. - Ich finde das wichtig, daß wir das einmal erkennen! Wenn Glaube ein Geschenk Gottes ist; dann können wir zu uns ja sagen, auch wenn wir wie Thomas sind! Es ist keine Schande, wenn Gott uns seine Gabe bisher vorenthalten hat! Thomas war seinem Herrn damals auch lieb. Er gerade!: "Und Jesus kam und sagte zu Thomas: Reiche dei- nen Finger hierher und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie mir in die Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Und Thomas antwortete: Mein Herr und mein Gott!" Jetzt kann er glauben. Gerade Thomas, der es ausgesprochen hatte: Seh' ich nicht, so glaub' ich nicht!, gerade Thomas erhält den Glauben, die Gabe, das Geschenk Gottes. Kann das nicht Mut machen? Ist solch ehrliches Bekenntnis zum Kleinglauben denn nicht besser, als die Behauptung eines Glaubens im Herzenskämmerlein, von dem doch niemand etwas spürt und hat? Und der doch eigentlich längst tot ist und vielleicht nie gelebt hat! Thomas war dem Herrn allemal lieber! Ihn konnte er beschenken. Liebe Gemeinde, eines würde ich "Thomas" gerne noch sagen und auch allen, die es von sich frei bekennen: Ich kann dies oder das oder überhaupt nicht glauben! - Dieses Bekenntnis birgt eine gro- ße Gefahr: Wie rasch findet man sich doch damit ab, "halt nicht glauben zu können". Wie schnell arrangiert man sich mit einem Leben und einer Welt ohne Glauben. Bei wie vielen Gelegenheiten des Alltags stünde einem wohl der Glaube im Weg, wie man meint? Wie oft würde er einen wohl hindern, die Ellenbogen zu gebrauchen, sich selbst durchzusetzen, andere an die Wand zu drücken oder einfach nur faul und schläfrig zu sein? Sehr leicht wird aus: Ich kann nicht glauben - ich will nicht glauben! Darauf muß "Thomas" achten! Wir können uns auch abwenden, wenn der Herr uns ruft: "Lege deine Hand in meine Seite." Wir können das Geschenk des Glaubens auch verweigern anzunehmen! Viele tun's und manche schreien dabei noch: Ich kann nicht glauben! Gewiß wird der Glaube, wenn ihn Gott mir schenkt, mein Leben verändern. Aber es wird niemals weh tun, wenn ich sprechen kann: "Mein Herr und mein Gott!" Wir haben vielmehr dann Sinn und Ziel und eine tiefe Freude am Leben gefunden. Wir werden uns fühlen, wie der Sonntag heute heißt: "Quasimo- dogeniti - wie neugeboren"!