Predigt zum 1. So. n. Epiphanias - 12.1.2003 Textlesung: Mt. 3, 13 - 17 Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, daß er sich von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, daß ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Laß es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen. Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlge- fallen habe. Liebe Gemeinde, sicher sollen wir hier nicht nur erfahren, daß Jesus auch getauft worden ist. Gewiß läge auch nicht so sehr viel geistlicher Wert in dem Wissen, daß sich Jesus und Johannes damals begegnet sind, bevor die Tochter des Herodes den Kopf des Täufers gefordert hat. Aber was ist es dann in diesen Versen, was wir unbedingt hören, bedenken und vielleicht beherzigen sollen? Sehen wir die Szene einmal ganz nüchtern und sachlich: Der Täufer hat schon einige Zeit ziem- liches Aufsehen verursacht und von sich reden gemacht. Er selbst ist nur die "Stimme eines Rufers in der Wüste", ein Eremit im Gewand aus Kamelhaaren, der Heuschrecken und wilden Honig ißt. Er will für sich ausdrücklich keine Beachtung, ja, er ist nicht wert, dem, den er ankündigt und auf den er mit der Bußtaufe vorbereitet die Schuhriemen zu lösen. Und geschimpft hat er! Mit den frommen Juden, die zu seiner Taufe kamen zum Beispiel, mit den Schriftgelehrten und Pharisäer: "Ihr Schlangenbrut", hat er sie genannt und ihnen prophezeiht, daß sie vor dem, der da kommt und in seinem Reich nicht bestehen würden... Liebe Gemeinde, und jetzt kam er! Dieser Jesus, von dem der Täufer wußte, daß er Gottes Christus ist, der mit Feuer taufen würde, der die Worfschaufel in der Hand hielt und seine Tenne fegen und den Weizen in die Scheune sammeln; die Spreu aber verbrennen würde... Er kam zu Johannes, schickte nicht nur Boten zu ihm, sondern stand selbst vor ihm und - das war sicher das Überra- schendste - er wollte sich von Johannes taufen lassen. Ja, ich denke, so kommen wir der Sache auf die Spur: Der, in dessen Namen Johannes taufte, ließ sich selbst die Taufe geben. Sicher nicht nur, damit die Menschen damals eine große Stunde erle- ben konnten, in der Gottes Geist als Taube zu sehen und seine Stimme zu hören wäre: "Dies ist mein lieber Sohn..." Ich glaube, es geht zuerst um etwas anderes und davon lesen wir in der Geschichte Jesu Christi immer wieder - von Anfang an, bis zum Ende auf Golgatha. Und das liest sich so: Der Schöpfer kommt zu seinen Geschöpfen. Der große Gott legt sich in eine Futterkrippe. Gottes Sohn hat keinen Ort, an dem er sein Haupt hinlegen könnte. Gerade die Schuldigen und Be- ladenen sucht er auf. Mit Dirnen und Zöllnern sitzt er zu Tisch. "Wer unter euch der Größte heißen will, der sei aller Diener", sagt er und tut es auch: Er - der Herr! - wäscht seinen Jüngern die Füße. Er - der ohne Sünde war - legt sich das Kreuz auf die Schulter, läßt sich geiseln, bespucken und geht auf Golgatha aus wie ein Verbrecher. - Ja, das ist es auch hier: Der Herr kommt zu seinem Knecht. Der, dem die Engel dienen, beugt sich vor Johannes, neigt das Haupt und läßt sich taufen. Welch ein Wunder! Aber vielleicht können wir das heute gar nicht mehr so begreifen? Weil wir mit den vielen täglichen Sensationen, Ereignissen und Katastrophen vor Augen, gar nicht mehr erkennen, wie ge- waltig und wie groß dieses Zeichen ist? Und vielleicht wollen wir das auch gar nicht so gern sehen und schon gar nicht in unser Leben und Handeln umsetzen - weil es auch unserer Art und unserem Wesen zuwider läuft? Denn wenn wir es IHM gleich täten, dann hätte das Folgen! Ja, das würde unser Leben umkrempeln, das Unterste zuoberst kehren - oder besser: Das Oberste zuunterst! Aber malen wir uns das einmal ganz konkret aus, mit Bildern aus unserem Alltag: Wir würden nicht mehr warten, bis der Nachbar endlich in der Sache, die uns seit Jahren entzweit, kleinbei gibt. Wir würden hingehen und ihm zuerst die Hand reichen. Und dem jungen Menschen von gegenüber würden wir ein freundliches "Guten Morgen" zurufen, ganz gleich, ob er nicht ei- gentlich verpflichtet wäre, uns zuerst zu grüßen, weil uns das als den Älteren doch zusteht. Und wo wir jemandem übergeordnet sind im Beruf, da lassen wir ihn nicht zu uns kommen, sondern gehen selbst zu ihm; und wir tun das ohne Herablassung und überhebliche Gesten. Wenn dem Kind an der Kasse beim Einkaufen der Inhalt seiner Tasche herunterfällt, dann bücken wir uns und helfen ihm beim Auflesen. Allen Menschen treten wir ohne Vorbehalte gegenüber, weil wir alle durch unseren Herrn die gleiche Würde und den gleichen Rang haben: Wir sind seine Geschwister. Wir würden auch behutsamer mit dem umgehen, was wir über andere hören, denn wir kennen uns doch selbst, wie gern wir etwas aufbauschen! So kämen wir dem nahe, was Martin Luther in den Erklärungen zu den Geboten gemeint hat: Nicht nur Böses, nicht nur schlechte Reden und falsches Tun lassen, sondern die Mitmenschen fördern in allen Leibesnöten, Gutes von ihnen reden und alles zum Be- sten kehren! Und auch in unserem Wortschatz würde sich manches verändern: "Das habe ich doch nicht nötig", wäre ein Satz, den wir daraus verbannen müßten. Und so einige Bezeichnungen für Menschen, die aus der Ex-DDR zu uns gekommen sind oder aus Rußland, könnten wir nicht mehr gebrauchen. Schließlich würde auch der Ton mit dem wir zu anderen und über andere sprechen, freundlicher, netter und gewinnender und nicht mehr so herrisch oder von oben herab. Und gewiß würden wir auch weniger häufig "ich", "mich" und "mir" sagen, dafür aber mehr "du", "dir" und "dein"! Und ganz gewiß würden ja auch wir von unseren Nächsten anders behandelt. Immer kommt das doch auch zurück, bringt auch für uns selbst Gutes hervor, schöne Erlebnisse, beglückende Erfah- rungen. Denken wir doch nur an den Zöllner, bei dem Jesus zu Gast war: Die Nähe Jesu, die Beach- tung und Freundschaft, die er bei ihm erlebt hat, verwandelt ihn. Er wird ein neuer, anderer Mensch! Oder denken wir an den heidnischen Hauptmann, der um die Heilung seines Knechtes bit- tet: Das wird er nie mehr vergessen, daß sich der Jude Jesus zu ihm dem Heiden hinabgebückt hat. Wie Jesus auch davon überrascht war, daß sich hier ein Hauptmann für seinen Knecht einsetzt und demütigt. Liebe Gemeinde, wenn wir uns so ein wenig bemühen, andere Menschen zu werden, dann denke ich nicht, daß wir uns bald gar nicht mehr wiedererkennen. Dazu sind wir viel zu eingefahren in un- seren Lebensbahnen und zu fest dem verhaftet, "wie wir nunmal sind". Aber ein Anfang wäre ge- macht. Und ich bin überzeugt, er würde uns nicht überfordern, vielmehr sogar Freude schenken und das Gefühl, es unserem Herrn ein wenig gleich zu tun, wenn er sich hier zu Johannes und seiner Taufe auf den Weg begibt. Vergessen wir es nicht: Das war keine einmalige Tat! Die Geschichte Jesu in der Welt war immer so und nie anders! Er hat nicht den Herrn gespielt - und er war es doch! Er beharrte nicht auf der Ehrerbietung anderer - er zog sich selbst die Schürze an und diente ihnen. Er wollte schon für seine Geburt nicht wie ein König empfangen sein, sondern wie ein Bettelkind. Er ist dem unteren Weg immer treu geblieben. Bis zum Kreuz. So ein wenig wollen wir ihn auch auf diesem Weg der Bescheidenheit, der Güte und der Anerken- nung aller unserer Mitmenschen begleiten und nicht danach fragen, ob wir das müßten, ob nicht die anderen zuerst und ob denn nicht überhaupt... Halten wir uns das vor Augen: Der Herr der Welt kommt zu Johannes. Der, in dessen Namen wir taufen, läßt sie selbst an sich geschehen. Und hören wir hin: "Laß es jetzt geschehen!", sagt Jesus zu Johannes. "Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen." Was unser Herr uns als ein Beispiel gibt, gebührt uns, ihm nach zu tun!