Andacht zum Wochenspruch Wochenspruch zur Woche nach dem So. "Reminiszere": Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. (Röm. 5,8) Drängt es sich da nicht geradezu auf, ein menschliches Gegenbeispiel zu entwerfen? Wem und wie "erweisen wir denn unsere Liebe"? Wenn Eheleute sich lieben, dann ist das immer eine Sache auf Gegenseitigkeit: Ich liebe dich, weil du mich liebst. Wem das jetzt zu sehr nach Geschäft klingt, nach berechnetem Geben und Nehmen, dem will ich das umkehren: Wenn du mich nicht liebst, wenn du mich ablehnst und mir keine Zuneigung mehr schenkst, wie lange wird dann meine Liebe noch halten, ehe sie zerbricht? Wenn wir einen unseren "Freund" nennen, wie ist das dann mit der Liebe? Hat die Freundschaft eine Chance, wenn der eine dem anderen ständig mit Bosheit begegnet, wenn er auf gute Worte immer mit Haß reagiert, wenn er alle echten Gefühle verspottet und mit Füßen tritt. Wie lange werden wir Freunde bleiben? Wie oft werden wir es mit einem solchen "Freund" versuchen? Und schließlich die "Liebe" zu all unseren Mitmenschen: Hat sie nicht wenigstens die Voraussetzung, daß unser Nächster uns nicht bekriegt, nicht verachtet, nicht verletzt oder schadet? Wenn er schon nichts für uns tut, so darf er doch nicht gegen uns arbeiten! Ich glaube, jetzt wird das deutlich: "Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren." Für seinen Partner, der ihn zärtlich liebt, wird einer schon einiges geben! Für den Freund, der mir in ehrlichem Interesse verbunden ist, werde ich manches tun! Selbst dem Mitmenschen kann ich noch freundlich begegnen, wenn er mich auch achtet und ebenso behandelt! Aber doch nicht meinem Feind, doch nicht meinem er- klärten Gegner, doch nicht dem, der mich bekämpft, verhöhnt, beleidigt und verleugnet! Solche Leute aber sind wir! Das bieten wir unserem Gott. Das ist gemeint, wenn es hier heißt: "...als wir noch Sünder waren." Dieser Gott ist wahrhaftig ganz anders als wir! Er liebt nicht so, wie wir lieben - nur ein bißchen intensiver oder besser... Er liebt völlig anders. Er stellt alles auf den Kopf, was wir von Liebe wissen und wie wir sie unseren Mitmenschen zukommen lassen. Und das ist unser Glück, unsere Rettung! Denn wir sind nicht die liebenswerten Menschen, für die wir uns halten. Wir sind nicht die ein wenig ungezogenen Kinder Gottes, die es an sich nicht so böse meinen. Wir sind "Sünder"... Wir sind eben nicht in der guten Beziehung zu Gott. Wir lieben ihn nicht und spucken auf seine Zuneigung. Wir leben un- sere Tage getrennt von ihm, ohne auf ihn zu hören, ohne nach ihm zu fragen, ja ohne uns auch nur im geringsten um ihn zu kümmern. Und wir bieten diesem Gott noch mehr: Hat er uns doch alles geschenkt, was wir besitzen, unser Haus, unser Vermögen, unsere Talente, unsere Gesundheit und alles, was unser äußeres Leben ausmacht, so sind wir doch niemals zufrieden! Immer noch mehr wollen wir haben! Und das Danken kommt uns selten in den Sinn. Aber wenn wir etwas von diesen Dingen verlieren, dann kann unser Gott uns kennenlernen! Dann wird lamentiert, dann wird geschrien und geflucht, gehadert und gefragt: Womit habe ich das verdient? Und das ist immer noch nicht alles, was wir diesem Gott antun: Nicht das kleinste Entgegenkommen bringen wir auf, daß wir uns vielleicht täglich eine Zeit einrichten, in der wir auf sein Wort hören, in der Bibel oder dem Losungsbuch lesen. Und am Sonntag? Wie ein Opfer erscheint es uns doch, wenn wir unserem Schöpfer und Erhalter hie und da eine Stunde geben, in der er uns ansprechen darf. (Aber für was alles haben wir in der Woche viele Stunden Zeit!) Und noch so vieles müßten wir hier nennen! - Wie lange würden wir brauchen, wenn wir einmal aufschreiben sollten, was uns zu "Sündern" macht? Und doch "erweist Gott seine Liebe zu uns darin, daß Christus für uns gestorben ist..." Den Partner, der uns zugetan ist, den Freund, der uns achtet, den Mitmenschen, der uns respektiert, alle die können wir auch lieben. Aber unsere Gegner? Unsere erklärten Feinde? Unsere Verächter, die uns übel wollen? Und doch liebt uns Gott! Können Sie das begreifen?