Andacht zum Wochenspruch


Wochenspruch zur Woche nach dem 9. So. n. d. Trinitatisfest:

Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern. (Lk. 12, 48b)

Wie wahr! Dieses Wort macht uns wirklich keine Schwierigkeiten! So ist das: Wer viel hat, der soll auch viel tun. Wer reich ist, der kann auch andern geben, teilen, Gutes mit seinem Geld und Vermögen schaffen! Kein Problem dieser Vers! - Wir denken halt immer an die andern! Wenn es jetzt aber ein Wort an uns selbst wäre?

»Aber wir haben ja nichts! Wir können ja nichts! Bei mir ist doch nichts zu holen, weder viel Geld, noch viel Talent, Begabung oder eine besondere Fähigkeit. Wer sollte bei mir etwas suchen oder gar fordern?«

Warum sind wir nur immer so bescheiden? Sehen wir nicht, was gerade wir haben und können; wollen wir's nicht sehen?

Ein Mann in meiner Straße würde sicher auch so sprechen: Ich kann doch nichts besonderes! Aber sie müßten einmal dabeisein, wenn man mit ihm ins Gespräch kommt: Das tut einfach gut, mit ihm zu reden. Der Mann kann nämlich zuhören! Der paßt nicht immer nur die Gelegenheit ab, bei der er anbringen kann, was ihn selbst beschäftigt. Der möchte wirklich begreifen, was der andere sagen will. Der spürt die Sorgen, die hinter den Worten stehen. Man hat das sichere Gefühl, der hat dich verstanden. Und sie wissen ja, wie wichtig das ist, einmal verstanden zu werden. Wie häufig reden wir aneinander vorbei! Wie oft hält einer dem andern nur einen Monolog. Am Ende sind beide vielleicht leer geredet - Verständnis und Mitgefühl sind aber nicht gewachsen. Darum: Wie gut, daß es solche Menschen gibt wie den Mann, von dem ich spreche! Was für eine Gabe ist das: Zuhören können!

Und eine Frau kenne ich, die würde bestimmt auch meinen: Ich kann doch nichts, was irgendwie interessant wäre! Aber Sie sollten einmal sehen, wie sie mit Kindern umgeht! Und das ist nicht ihr Beruf! Sie hat eine Ader dafür. Die Kinder merken das ganz schnell: Die hat gern mit uns zu tun; die weiß so schöne Geschichten; die erfindet immer neue Spiele; der macht das Spaß, sich mit uns zu beschäftigen. Ich würde das noch anders sagen: Sie hat eine große Liebe zu den Kindern, eine Liebe, die nach jedem einzelnen Kind fragt und herausfinden will, was gerade dieses Kind braucht und wie man mit ihm umgehen muß... Wie wichtig, daß es Menschen gibt wie diese Frau! Was für eine Gabe: Diese Liebe zu Kindern!

Einen ganz alten Menschen kenne ich noch, eine alte Dame von über 80. Sie würde ganz gewiß nichts an sich wissen, was irgendeiner Erwähnung wert wäre. Aber wie viele Erfahrungen hat sie! Was hat sie in ihrem langen Leben nicht alles gesehen und kennengelernt! Gewiß, erlebt haben andere Menschen auch viel, aber sie kann es weitergeben. Bei ihr fühlt man sich nicht von oben herab belehrt. Sie spricht davon, ohne den Zeigefinger zu heben und nicht wie mit einem kleinen Kind. Man spürt bei ihr, daß sie einem schon gern vor schlechten Erfahrungen bewahren möchte, aber sie drängt sich nicht auf.

Da schwingt immer so viel Güte mit, wenn sie erzählt. Man kriegt richtig die Freude am Leben zurück, die einem ja manchmal schon abhanden kommen kann. Man sieht in ihren Augen, wie sehr sie das Leben liebt und wie gern sie anderen vermitteln möchte, das Leben auch liebzuhaben. Ist das nicht wirklich bemerkenswert? Bei einem so alten Menschen? Wie kann uns Jüngere das manchmal aufbauen! Wie schön, daß es diese alte Dame gibt! Was für eine Gabe: Die Liebe zum Leben weiterzugeben! »Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.«

Wollen sie nicht auch einmal sehen, wieviele Gaben, Fähigkeiten und Talente Gott gerade ihnen anvertraut hat? Und wenn es nur eine einzige Begabung wäre, wie wichtig, wie schön und wie hilfreich kann sie für ihre Mitmenschen werden!