Andacht zum Wochenspruch Wochenspruch zur Woche nach dem 7. So. n. d. Trinitatisfest: So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mit- bürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. (Eph. 2,19) Manche von uns waren es schon, andere werden es in diesen Wochen noch sein, nämlich »Gast« in einem anderen Land. Immer wieder können wir es dann auch empfinden, daß ein Gast auch ein »Fremd- ling« ist: Die andere Sprache der Einheimischen, die ungewohnte Le- bensart, die manchmal argwöhnischen Blicke... Gewiß: Eigentlich ist man ja gern gesehen als Tourist; man bringt Devisen ins Land, man füllt die Hotels, die eigens für die fremden Gäste gebaut wurden, man lastet Kapazitäten aus, beansprucht die Gastronomie, sichert Arbeits- plätze... Trotzdem: Du bleibst der Fremde, der Gast für eine Zeit, der Mensch, der wieder dorthin zurückkehrt, wohin er gehört. Wir wollen auch nicht darüber klagen! Wir halten es mit unseren »Gästen« wohl nicht anders! Mir geht es um etwas, das ist mir vor diesem Hintergrund erst richtig deutlich geworden...anläßlich einer Urlaubserfahrung, von der mir ein Bekannter erzählt hat: Er hat im fremden Land einen Dom besucht, eine Bischofskirche mit uraltem Kreuzgang, eine Sehenswürdigkeit, die viele tausend Men- schen jährlich anlockt. Er war von einem lärmenden, sonnenheißen Kirchenvorplatz in die Stille und Kühle des Doms getreten: eine an- dere Welt! Nach einer Weile im Inneren der Kirche, konnte er fast nicht mehr glauben, daß draußen wirklich dieses hektische Treiben herrscht, dieses laute und irgendwie fremde Leben. Es lag auf einmal weltenfern hinter dicken Mauern. Nichts davon drang hinein in die abgeschiedene Ruhe in den uralten Gewölben. Und dann all das Schöne für die Augen. Der Goldglanz auf den Hei- ligenfiguren, die Ausdruckskraft der Altarbilder, das Spiel von Licht und Schatten, die strahlenden Farben der Fenster... Wunderbar, das alles! Beeindruckend und schön! Etwas anderes aber hat sich meinem Bekannten viel tiefer in Herz und Sinn eingegraben: Die Menschen in diesem Dom, ihr Verhalten, ihre freundlichen Gesichter, die Art, wie sie sich im Kirchenraum be- wegten. Das schienen drinnen ganz andere Menschen zu sein, als eben noch vor der Tür des Domes! Hatte vielleicht der Mann vor dem Seitenaltar eben noch draußen mit seiner halbwüchsigen Tochter geschimpft, so war er jetzt gemeinsam mit ihr in andächtiger Betrach- tung versunken. Hatte sich die Frau in der ersten Bankreihe gerade noch lautstark über die ungeschickte Bedienung im Straßencafé ge- ärgert, so hatte sie nun die Hände gefaltet und war über einem Gebet verstummt. Eine ganz andere Welt drinnen im Dom! Gingen zwei aneinander vorüber, so lächelten sie sich zu. Traf man einen Fremden nach der Runde im Kreuzgang zum zweiten Mal, so nickte man grüßend zu ihm herüber. Jeder war bemüht, leise zu sein. Einer achtete die An- dacht des anderen. Und durchaus nicht nur die ausländischen Gäste untereinander! Da stand die einheimische Hausfrau neben dem Touri- sten aus Deutschland, und gemeinsam entzündeten sie eine Kerze für die Muttergottes. Da erklärte der Bürger der Domstadt flüsternd dem fremden Gast die Bedeutung einer Darstellung aus der Deckenmale- rei. Da kniete der Amerikaner neben dem Schweizer, der Belgier ne- ben dem Schweden, der Deutsche neben dem Italiener - und alle be- teten. Da waren auf einmal die Unterschiede aufgehoben, die draußen galten. Da gab es die mißtrauischen Blicke nicht mehr. Kein Arg- wohn verdarb die Atmosphäre. Es schien, als hätte sich eine Familie in dieser Kirche versammelt. Ein bißchen Gefühl von »Zuhause« kam auf, ein wenig war man »daheim«. »So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbür- ger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.« Wirklich, das ist es: »Gottes Hausgenossen«! Genau das hat mein Bekannter neulich in diesem Dom im fremden Land empfunden: Ich bin hier kein Fremd- ling, ich nicht, die anderen auch nicht, weder der Einheimische noch der Tourist. Hier sind wir alle wie »Mitbürger« des einen Volkes Gottes, wie seine »Hausgenossen«. Hier ist Gott selbst der Hausherr und wir darum alle gleich. Was uns dieses Erlebnis im Dom sagen könnte? - Ob das nicht auch außerhalb unserer Gotteshäuser immer mehr gelten müßte, daß wir einander wie die Glieder der selben großen Familie ansehen und be- handeln? Und ob wir uns nicht vornehmen sollten, unsere Mit- menschen niemals mehr wie »Fremdlinge« zu betrachten, weil Gott uns alle doch auch nicht so ansieht?!