Andacht zum Wochenspruch Wochenspruch zur Woche nach dem 2. So. n. Epiphanias: Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. (Joh. l, 17) Was spielt in unserem Leben die größere Rolle: Gesetz oder Gnade? Ja, was ist das überhaupt: Gnade? Und wo haben wir mit dem "Gesetz" zu tun? Um es gleich vorweg zu sagen: Beides bestimmt unser Leben; beides prägt unser Wesen - es kommt darauf an, in welchem Maß! Verfolgen wir einmal einen Menschen auf seinem Weg durch die Kindheit, die Jugend, bis ins Erwachsenenalter. Sehen wir, was dieser Mensch gesagt bekommt, welche unterschiedlichen Gedanken auf ihn einwirken: "Wenn du schön artig bist, dann bekommst du nachher auch Schokolade!" Da ist das Gesetz. Wer bringt, was von ihm erwartet wird, erhält Lohn; wer nicht erfüllt, was er soll, wird bestraft. Da ist aber auch schon früh das andere, hoffentlich: "Du bist doch mein Schatz, was hab' ich dich so lieb!" Da geht es nicht nach Leistung. Da spricht das Herz. Da ist das Denken in Lohn oder Strafe weltenfern. Das ist Gnade. Und später: "Wir haben uns für deinen Mitbewerber um die Lehrstelle entschieden, seine Noten waren einfach besser!" - "Du mußt dich mehr anstrengen; wer heute in der freien Wirtschaft etwas werden will..." Aber auch die Stimme der Gnade wird noch laut, hie und da: "Bleibt doch auch nach Eurer Konfirmation bei Eurer Gemeinde, folgt der Einladung Eures Herrn, der Euch helfen und begleiten möchte." - "Du gefällst mir, du bist anders als die Jungs, die ich bisher kennengelernt habe." Dann ist einer schließlich erwachsen. Er hat das "Gesetz" kennengelernt. Er hat aber auch "Gnade" erfahren. Was wird sich nun bei ihm durchsetzen? Bei vielen Menschen unserer Tage geht es nur noch nach dem "Gesetz": Was kann einer, was leistet er, wieviel springt da heraus, wie groß ist sein Vermögen, wie hoch sein Einkommen, was ist am besten für mich...? Das sind die Fragen, die sie stellen. "Gnade" klingt für solche Menschen verdächtig nach Schwäche, nach Mangel an Durchsetzung, nach Versagen. Gnade hat für solche Leute keinen Platz mehr in der Welt der Leistung und des Gesetzes. So lachen sie über alle, die heute die Gnade zur Geltung bringen wollen und erheben sich über sie: "Seht die Träumer, die Weltverbesserer, die Schwachköpfe..." Sie fühlen sich wie Leute, die genau wissen, wo es im Leben lang geht – und haben doch nichts verstanden, denn es heißt: "Das Gesetz ist durch Mose gegeben..." Und das ist auch ein Urteil! Das Gesetz ist also überholt, überwunden und "von gestern" - durch die Gnade! Denn "die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus geworden"! Nun wollen wir nicht so tun, als müßte man das nur wieder einmal sagen. Das "Gesetz" hat die Welt - und uns auch - fest im Griff. Bloßes Reden wird nichts nützen. Mehr Verheißung hat unser Handeln! Wer davon ausgeht: Das Gesetz reimt sich nicht zu Jesus Christus und seiner Sache, der wird der Gnade zum Durchbruch verhelfen, wo immer er das kann. Und wir können schon einiges: In der Erziehung unserer Kinder und Enkel... Nicht das "Prinzip Schokolade", sondern die Liebe, die schenken kann, ohne zu fordern, die zuvorkommt, ohne zu verpflichten. Auch wenn wir selbst zu Opfern des "Gesetzes" geworden sind, gibt es noch Möglichkeiten: Die Hoffnung festhalten, auch wenn jetzt alles dagegen spricht, die "Gnade" wird am Ende stärker sein. Und schließlich gibt es auch in den ganz kleinen alltäglichen Dingen Gelegenheiten, den Raum der Gnade zu vergrößern: Auf ein offenkundiges Unrecht mit Freundlichkeit reagieren. Für einen sprechen, der sich nicht wehren kann. Verzichten, wo man einen Vorteil haben könnte. Dem die Chance geben, der noch nie eine hatte. Den ersten Schritt tun, auch wenn man an einem Streit gar nicht schuld war. Was spielt bei uns die größere Rolle: Gesetz oder Gnade? Eines ist sicher: Das Gesetz ist durch Mose gegeben... und deshalb überholt, auch wenn es sich noch so stark und mächtig gebärdet. Die zu Jesus Christus gehören, gehören auf die Seite der Gnade.