Andacht zum Wochenspruch Wochenspruch zur Woche nach dem 2. So. n. d. Christfest: Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingebo- renen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. (Joh. l,14b) "Gnade und Wahrheit" - ich habe mich gefragt, wie diese beiden Be- griffe wohl heute verstanden werden? Was denkt der Mensch unserer Tage, wenn er "Gnade" hört? Was würde er antworten, wenn man ihn fragte: "Was ist das, Gnade"? - "Das ist eine Verhaltensweise be- stimmter Berufsgruppen, Krankenschwestern und so, Pfarrer haben damit zu tun." - "Alte Leute sind auf Gnade angewiesen." - "Jeden- falls nichts, was wir nötig hätten, wir verdienen uns schließlich unse- ren Lebensunterhalt." Das etwa würde wohl gesagt. Und "Wahrheit"? - "Wahrheit ist ein dehnbarer Begriff, etwas, was mir nützt" - "Das Gegenteil von Lüge manchmal aber auch dasselbe." - "Wahrheit"? Was weiß ich, mich interessiert nur, was am Monats- ende auf meinem Konto ist." Ein paar Äußerungen von vielen. Nicht erfunden! So wird wirklich gesprochen. Oder so ähnlich. "Gnade" ist aus der Mode gekommen. Gnade riecht nach Alter, Siechtum und Sich-nicht-mehr-helfen- Können. Der Mensch von heute will nicht "gnädig" behandelt wer- den. Wir wollen das nicht! Mit der "Wahrheit" ist es ein wenig anders. Die versteht jeder so, wie er's gerade brauchen kann. Der Bezugspunkt fehlt, die anerkannte, gültige Größe, vor der sich Worte und Taten als "wahr" ausweisen müssen. Was ist "Gnade"? " Was ist "Wahrheit"? Sehen wir einmal die Antwort, die das Weihnachtsfest auf diese Fra- gen gibt: Der große Gott verläßt seinen Himmel und legt sich als ein Kind in den Futtertrog - das ist "Gnade". Der starke, mächtige Herr der Welt wird ein hilfloser Säugling - das ist "Gnade"! Der Gott, der die Erde und die Menschen gemacht hat, wird freiwillig schwach und ohnmächtig - das ist "Gnade"! Wenn wir jetzt daran begreifen: Seitdem ist Gott mit dem Schwachen und Ohnmächtigen im Bunde - dann haben wir auch den Bezugs- punkt für die "Wahrheit". Die "Wahrheit" nämlich ist Gottes Liebe zum Einfachen und Geringen. Die Wahrheit ist, daß dieser Gott seit der Geburt im Stall auf der Seite der Armen und Elenden steht. Die Wahrheit ist alles, was diese Parteinahme Gottes für das Schwache und Geringe in dieser Welt bezeugt und zur Geltung bringt. Zugegeben: Das ist eine enge Sicht von "Gnade" und "Wahrheit", es ist die Sicht von Gottes Krippe her, sozusagen. Aber man kann damit leben, nicht nur an Weihnachten! Gerade Menschen, die sich ohnmächtig und schwach fühlen, können damit leben. Diese Menschen wissen nämlich jetzt, daß sie nicht mehr allein sind mit dem, was sie bedrängt und beschwert. Sie wissen, daß im Kind in der Krippe Gott einer der ihren geworden ist. Und sie "wissen" nicht nur, sie spüren seine Nähe, wenn die Sorgen kommen, wenn sie Angst haben, wenn ihnen der Mut fehlt. Und damit können sie auch selber zu Zeugen dieser "Wahrheit" werden: Daß Gott sich zu ihnen, den Schwachen und Geringen hält. Gewiß, vielen Menschen unserer Tage - wie sie meist denken und handeln - geht das schwer ein: Gott liebt das Einfache? Er will arm und elend sein? Er teilt das Leben der Schwächsten - freiwillig? Das soll Gnade sein? Die Seite Gottes ist ein für allemal die Armut? Den Zukurzgekommenen ist er näher als den Starken? Für solche ist er Mensch geworden, Kind in einer Futterkrippe? Das ist Wahrheit? Uns aber, die das begreifen können, ist das die "herrlichste" Sache der Welt. Dann ist ja doch Hoffnung, so trüb unser Leben auch manchmal ist. Dann ist ja doch einer bei uns, wenn wir nicht weiterwissen. Dann sieht ja doch einer nach uns, wenn wir meinen ganz allein zu sein. Dann müssen wir also keine Angst mehr haben. Dann können wir diese "Gnade" Gottes den anderen weitersagen und weiterreichen. Dann kann durch uns diese "Wahrheit" Gottes auch andere froh und frei machen. Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Wir sahen seine Herrlichkeit! Stimmt das für uns? Lassen wir uns Gottes "Gnade" und "Wahrheit" gefallen?