Andacht zum Wochenspruch Wochenspruch zur Woche nach dem 22. So. n. d. Trinitatisfest: Bei dir ist die Vergebung, daß man dich fürchte. Ps. 130,4 Schon wieder so ein Fremdwort wie »Sünde« oder »Heil«. Wissen sie noch, was das ist: »Vergebung«? - Kürzlich ist mir einer auf den Fuß getreten; »Entschuldigung«, hat er gesagt »Tut mir leid«, hörten sie neulich an der Kasse im Supermarkt, als sich die junge Frau vorgedrängelt hatte. Wenn wir dann antworten »Ist schon gut« oder »Macht ja nichts«, geschieht dann »Vergebung«? Ich will gar nicht behaupten, daß »Entschuldigung« bloß eine Floskel ist. Das mag einem ja wirklich leid sein, wenn er seine Mitmenschen verletzt, verdrängt oder zurücksetzt. Aber wie tief geht das? Und wie billig ist das: »Verzeihung!« Wissen sie am Abend noch, wie oft sie über Tag so um Entschuldigung gebeten haben? Andererseits glaube ich, daß viele Menschen heute in wirklicher Schuld leben, vor Gott und ihren Mitmenschen. Da hat einer gemeine Unterstellungen über seinen Nachbarn verbreitet, und der hielt den Schwätzer noch für seinen Freund! Da hat ein anderer seinen Mitmenschen bei einem Handel schamlos übers Ohr gehauen, und der hat noch gedacht, er hätte ein gutes Geschäft gemacht. Ein dritter hat vielleicht seinen Partner betrogen und eine Ehe zerstört. Und noch so manches haben wir auf dem Gewissen. An vielen ähnlichen Taten und Verfehlungen tragen wir. Ist es da genug, wenn wir sagen: »Verzeihung«. Kann man das entschuldigen wie einen Tritt auf den Fuß oder das Vordrängeln an der Kasse? Wir merken, es gibt da Verhaltensweisen bei uns, deren Folgen und Wirkungen gehen weiter, tiefer. Da entsteht wirkliche Schuld - und nur »Vergebung« könnte davon befreien. Und genau damit tun wir uns schwer, nein, deutlicher: wir wollen diese Schuld nicht sehen, wir verdrängen sie in unser Inneres, sagen allenfalls »Verzeihung«. Schuld aber ist nur zu beseitigen, indem sie vergeben wird! Und Vergebung kann einer nur bekommen, indem er Schuld sieht und annimmt Die Ent-schuldigung versucht so zu tun, als ob Verfehlungen eigentlich harmlos wären: »Ist ja nicht so schlimm, wenn ich diesen oder jenen verleumdet habe! Er wird's schon überleben! Ganz ohne Fehler ist er schließlich auch nicht!« Wer Schuld sieht und annimmt, spricht anders: »Ich habe mich böse und unmöglich verhalten! Ich verdiene die gute Meinung nicht, die dieser von mir hat! Ich muß ihm sagen, daß ich an ihm schuldig geworden bin!« Für Menschen, die so denken und zu sich sprechen können, bleibt »Vergebung« kein Fremdwort. Sie erfahren, daß man endlich wieder aufatmen kann, daß eine schreckliche Last von der Seele genommen wird, - das ist ein bißchen so wie Neu-geboren-werden! Und solche Menschen verstehen auch diesen Vers, und er ist ihnen wie eine Befreiung: Bei dir ist Vergebung, daß man dich fürchte. Gott ist bereit, Menschen von Schuld loszusprechen. Alles, was wir vorher tun müssen, ist dies: Schuld als Schuld annehmen und sie nicht ent-schuldigen wollen. Wenn es dann heißt: »...daß man dich fürchte«, so ist gewiß nicht Angst gemeint, sondern Ehrfurcht und Achtung vor dem, der uns von Schuld und Sünde löst. Und es gibt - Gott sei Dank! - auch Menschen, die uns Schuld vergeben können und wollen, die wir ihnen angetan haben. »Entschuldigung« oder »Tut mir leid« ist dazu zu wenig! Wir sollten schon fertigbringen, so zu reden: Ich habe mich unmöglich verhalten; das war gemein und niederträchtig...« So wird Vergebung möglich; auch zwischen Menschen.