Wann steht der Christ auf? Religionslehrertag: Rund 400 Menschen lauschen auf den Vortrag des Leiters des Ökumenischen Zentrums. Christinnen und Christen, LehrerInnen mit dem Fach "Evangelische Religion", PfarrerInnen. Sie hören von religiöser Globalisierung, von Weltethos und der Forderung nach Islamunterricht an deutschen Schulen... Geht das nur über die Köpfe weg? Nein, eine faßt sich ein Herz: "Hat Jesus nicht gesagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben!"? Ansonsten vieldeutiges Schweigen. Die Frage bleibt unbesprochen. Ist sie denn auch fraglich? Gewiß, das hat Jesus gesagt. Aber im Welthorizont, vor den Herausforderungen der Zeit, im Blick auf den Islam und die Ökumene... - Wann steht der Christ auf? Der Jahresbericht der Kirche wird an die Pfarrämter gesandt. Was hat die Kirche nicht alles bewegt, wie viel Geld wurde ausgegeben, wie viel Beton verbaut, wie viele Handlungszentren geschaffen, wie groß die Schar, die da jetzt an Schreibtischen sitzen kann, viele Theologen darunter, die nun auch einen Arbeitsplatz gefunden haben! Wo in der Gesellschaft hat die Kirche sich nicht alles engagiert: Für Schwule und Lesben, am Bahnhof, in Industriebetrieben und der Bioethik. Wichtig das alles und gut! Aber wo lesen wir vom Engagement in der ganz normalen Gemeinde? Welchen Stellenwert hat die Arbeit an der Basis, an den konkreten Menschen in konkreten Kirchengemeinden, die sicher 99 % der Lebensäußerungen der Kirche ausmachen? Nicht eine einzige Seite ist diese wahrhaft grund-legende Arbeit den Machern des Jahresberichts wert. - Wann steht der Christ auf? Strukturreform in der Kirche: De-zentralisierung in der Mitte. Einem Widerspruch soll Leben eingehaucht werden. Alle Macht den Dekanaten. Nur die nicht, die Richtung der Kirchenpolitik zu bestimmen! Und die nicht, ausreichend finanzielle Mittel in den Gemeindeaufbau zu stecken, statt den kirchlichen Wasserkopf zu päppeln. Und die nicht, festzulegen, wie viele PfarrerInnen die Menschen wirklich brauchen und nach welchen gemeindefremden Maßstäben sie übers Land verteilt werden: Kleine lebendige Gemeinden müssen den Pfarrer hergeben. Etwas größere, aber tote Gemeinden dürfen ihren behalten. Der hat immerhin drei Beerdigungen im Jahr mehr und noch 11 Karteileichen! "Verteilungsgerechtigkeit" heißt das. Und die Synode? Die läßt alles passieren. Seit Jahren. Gegen nur sehr geringen Widerstand. - Wann steht der Christ auf? Die Stimmung in der Pfarrerschaft: Nach dem Rückzug in die eigene, vielleicht noch heile Welt unserer Gemeinden, haben wir es jetzt erkannt, es gibt kein Entrinnen! Man spuckt uns von oben in unser Süppchen: Assessement für Vikare, Millionenzahlung an Theologen, die gerne Pfarrer werden wollen, um sie loszuwerden, kurze Zeit später dann der Pfarrermangel, Schwulensegnung, Stärkung der Mittleren Ebene, die eine Schwächung der Gemeinden bedeutet... Nach all dem fragen uns die Leute kopfschüttelnd - und wir können keine Antwort geben. Irgendwie war das früher einfacher: Wir wollten Seelsorger und Verkündiger sein und man hat uns das auch sein lassen. Jetzt ist Verteidigung angesagt: Immer mehr sind wir dazu gezwungen, unsere Gemeinden gegen die Folgen einer seelenlosen Kirchenpolitik zu schützen. Wir sollen vor unseren Gemeindegliedern Maßnahmen der Kirche begründen und erklären, die wir selbst nicht verstehen, ja nicht gutheißen können. Warum? Weil von uns Loyalität mit der Dienstherrin verlangt wird. Wie reagieren die Pfarrerinnen und Pfarrer? Verharmlosen - alles nicht so schlimm! Gott wird nicht zulassen, daß seine Kirche den Bach runtergeht. Manchmal Kämpfen - allerdings nur für die eigene Sache. Meist Resignation - wenn es ganz hart kommt, muß ich halt wechseln; außerdem sind es ja nur noch 17 Jahre bis zum Ruhestand. Schließlich - immer häufiger! - Krankheit - viele halten dem Druck nicht mehr stand. - Wann steht der Christ auf? Wenn es zu spät ist. Manfred Günther