"Homosexualität und Kirche" Theologische Erklärung Des Pfarrerinnen- und Pfarrergebetsbundes Baden 1. Die gegenwärtige Situation In unseren Landeskirchen wird mit großem Aufwand seit langer Zeit über die Frage gestritten, ob homosexuell Lebende zum Pfarramt zugelassen und homosexuelle Partnerschaften kirchlich gesegnet werden können. Dabei macht es keinen Unterschied, ob von Segnung, gottesdienstli- cher Begleitung, Fürbittandacht o. ä. die Rede ist. Immer wenn Ordinierte öffentlich mit dem Wort Gottes und dem Gebet zwei Menschen gegenüber handeln, ist das der Substanz nach eine kirchliche Trauung. Das Spiel mit den Begriffen verschleiert diese Tatsache. In einigen Landeskirchen wurden die beiden Fragen positiv entschieden. Diese Landeskirchen sind an den Rand der Selbstzerstörung geraten. Die Kritik kam nicht nur von den Gruppen, die dem pietistischen und evangelikalen Spektrum zugeordnet werden. Auch viele Menschen, die man als „treue Kirchenferne" bezeichnen kann, sind entsetzt, verstehen unsere Kirche nicht mehr und geraten in noch größere innere Distanz. In der Bundesrepublik leben etwa 30 % konfessionslose Menschen, denen die Aufmerksamkeit der Kirche genau so gelten muss, wie der Minderheit der homosexuell empfindenden Menschen, die allerdings von ihrer Sexualität oft sehr vital berührt sind. Nach einer EMNID-Umfrage im Auftrag von "eurogay" vom März 2001 empfinden sich 1,3 % der Männer und 0,6 % der Frauen als homosexuell, dazu 2,8 % der Männer und 2,5 % der Frauen als bisexuell; von diesen Men- schen leiden etwa die Hälfte an ihrer sexuellen Orientierung und möchten sie überwinden. Das ist möglich, bedarf aber großer Anstrengungen und sorgfältiger Begleitung. Die kirchlichen Diskussionen haben zumeist nur die andere Hälfte im Blick, die in den Verbänden „Homosexu- elle und Kirche" (HUK) bzw. „Lesben und Kirche" (LUK) organisiert sind; sie haben sich auch kräftig in die Diskussionen eingemischt. Es ist gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis (und zudem Lebenserfahrung sehr vieler Men- schen), dass die sexuelle Orientierung in Kindheit und Jugendzeit plastisch ist; ihre Reifung zu sexueller Eindeutigkeit ist eine Lebensaufgabe, die der erzieherischen Unterstützung bedarf. Demgegenüber wird in offiziellen und offiziösen Texten zur Sexualerziehung einiger Bundes- länder ( z. B. Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg) behauptet, dass Hetero-, Bi-, Homo- und Transsexualität gleichwertige Ausdrucksformen der Sexualität seien, die in gleicher Weise unterschiedslos erstrebenswert seien. In den aktuellen Diskussionen wurde die immense pädagogische Verantwortung, die die Kirche nunmehr hat, kaum zur Geltung ge- bracht. 2. Homosexualität in der Bibel Homosexualität ist kein Hauptthema in der Bibel. Aber dieses ist eindeutig klar: „Es gibt keine biblischen Aussagen, die Homosexualität in eine positive Beziehung zum Willen Gottes setzen – im Gegenteil". Diese Erkenntnis vertritt die EKD seit 1996 in drei prominenten Schriftstücken zum Thema (Mit Spannungen leben, 1996; Verlässlichkeit und Verantwortung stärken, 2000; Orientierungshilfe des Kirchenamtes der EKD, 2002). Diese Erkenntnis wird auch nicht bestrit- ten. Strittig ist, ob dieser biblische Befund die Kirche auch heute bindet. In diesem Streit stehen Grundprinzipien des Bibelverständnisses gegeneinander. Er lässt sich nicht einfach auf den Ge- gensatz von fundamentalistischem Biblizismus und historisch-kritischem Bibelverständnis zu- rück führen. Klar ist nur, was Vertreter des Rats der EKD erklärt haben, dass es nämlich bei der Bewertung des biblischen Befundes zur Homosexualität derzeit „eine tiefe Uneinigkeit" gibt. Richtigerweise hat der Ratsvorsitzende erklärt: Das „Verständnis der Aussagen von Schrift und Bekenntnis ... kann nicht einer Mehrheitsentscheidung überantwortet werden". Niemand weiß, wie lange die tiefe Uneinigkeit noch bestehen wird. Sie zeigt, dass die herme- neutische Diskussion ganz neu aufzunehmen ist. So lange keine Übereinkünfte in Grundprinzi- pien der Schriftauslegung gefunden sind, dürfen auf keinen Fall Entscheidungen gegen den Wortlaut der Bibel getroffen werden. Die Kirche ist aber schon jetzt gefragt und muss Auskunft geben. Also muss sie prüfen, ob sie noch andere Erkenntnishilfen hat, die ihr über die Uneinig- keit beim Schriftverständnis hinaus helfen. Das sind in unserer evangelischen Kirche die Be- kenntnisse. 3. Das Bekenntnis als Auslegungshilfe: Die Barmer Theologische Erklärung Barmen 2: „Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen." Das Bekenntnis erwartet ebenso wie die Heilige Schrift, dass es im Glauben zu Veränderungen („froher Befreiung") im Leben von Menschen kommt. Viele Menschen haben dank seelsorgerli- cher Initiativen homosexuelle Neigungen dauerhaft überwunden. In den bisherigen Diskussio- nen wird das meist verschwiegen, die seelsorgerlichen Initiativen werden oft sogar diskrimi- niert. Ehe die Kirche homosexuelle Partnerschaften segnet und damit von Gottes Wort abrückt, muss sie versuchen, den Menschen aus ihren homosexuellen Neigungen heraus zu helfen. Nicht allen Menschen mit homosexuellen Neigungen kann zu deren Überwindung geholfen werden. Dann ist zu unterscheiden zwischen der unfreiwillig erworbenen Neigung und dem freiwilligen Ausleben der Neigung. Die Bibel kennt sexuelle Enthaltsamkeit als Akt des Glau- bens. Wer dennoch gegen Gottes Wort seine homosexuelle Neigung auslebt, steht in einer Be- gründungspflicht gegenüber der Kirche. Dabei wird die Kirche gut tun, die klare Verkündigung des Wortes Gottes mit zuwendender Seelsorge zu verbinden. Das Urteil Gottes darf sie nicht vorweg nehmen wollen. Barmen 6: „Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk." Der letzte Artikel der Barmer Theologischen Erklärung ist deren Höhepunkt und sagt Entschei- dendes über die Aufgabe der Kirche: Sie lebt dafür, dass sie bei allen Menschen für den Glauben an Jesus Christus wirbt. Für die Volkskirche sind dazu die Amtshandlungen wichtige Mittel. Wenn solche dem Willen Gottes widersprechen, können sie diesen Dienst nicht leisten; sie ste- hen dann vielmehr dem missionarischen Auftrag der Kirche entgegen und damit der Zukunft der Kirche im Wege. Eine wichtige Erwartung an die Kirche, an die sie mit ihrer Arbeit immer wieder an knüpfen kann, besteht darin, für eine Stärkung Ehe und Familie zu sorgen. Diese Erwartung wird um so stärker, je mehr Ehe und Familie in den gesellschaftlichen Wandel hinein gezogen und durch ihn problematisiert werden. Sie richtet sich nicht nur auf individuelle Hilfe für die Menschen, die in Ehe und Familie leben. Sie richtet sich mindestens eben so stark darauf, dass die Kirche Ehe und Familie als überindividuelle Rahmenbedingungen (Institutionen) für zu- kunftsorientiertes Leben stützt und fördert. Diese Erwartung wird enttäuscht, wenn sich die Kir- che an der Etablierung von Lebensformen beteiligt, die mit Ehe und Familie als gleichwertig angesehen werden, obwohl sie sie auf Dauer aufheben. 4. Biblische Regeln für den Umgang der Gemeindeglieder miteinander und mit ihrer nichtchrist- lichen Umwelt Die Bekenntnisse als Hilfen zur Auslegung der Bibel lenken den Blick wieder auf die Bibel zu- rück. Welche biblischen Zusammenhänge können der Kirche praktisch weiter helfen, wenn sie in einer zentralen Frage biblischer Wahrheit uneins ist? 4.1 ... auf dass sie alle eins seien – Joh 17, 21 Der Einsatz für die Einheit der Christenheit ist keine beliebige kirchliche Aktivität neben ande- ren, sondern eine Grundaufgabe aller Konfessionen. Im ökumenischen Zeitalter muss darum Schriftauslegung immer in ökumenischem Horizont erfolgen. Die evangelischen Kirchen haben die Frauenordination eingeführt. Sie haben auch – wie unten anhand von 1. Kor 14, 34 zu zeigen sein wird – gute theologische Gründe dafür. Aber sie haben damit eine deutliche Distanz zum Großteil der anderen christlichen Konfessionen aufgerichtet. Wenn sie nunmehr – als einzige in der ganzen Weltchristenheit und angesichts heftiger Widersprüche aus dieser – ohne ordentliche theologische Gründe neue Entscheidungen in Sachen Homosexualität treffen, verraten sie ihren ökumenischen Auftrag und gefährden die weitere Zusammenarbeit der weltweiten Christenheit. 4.2 Starke und Schwache bei Paulus – Rm 14; 1. Kor 8;9 Bei Paulus geht es um Speisevorschriften, also um Ritualgebote; sie gehören nicht zu den Grundlagen des alttestamentlichen Glaubens. Trotzdem sagt Paulus: Die praktizierte Freiheit des Glaubens findet ihre Grenze am Gewissen der Gemeindeglieder, die darin eine Leugnung des Glaubens sehen. Wer sich im Glauben vom Zeremonialgebot frei weiss, mag sich als stark verstehen. Wenn er bzw. sie allerdings auf dieser Stärke beharrt, obwohl dadurch andere Gemeindeglieder in ihrem Gewissen getroffen und ange- fochten werden, dann ist diese Stärke eine Schwäche, die Schwäche nämlich, auf die eigene Position nicht verzichten zu können. Bei der Homosexualität geht es dagegen um das biblische Menschenbild. Es ist eines der we- sentlichen Bestimmungsmerkmale für die christliche Individual- und Sozialethik. Was im Blick auf das Zeremonialgebot gilt, von dem wir nach Paulus frei sind, muss erst recht im Blick auf die Gebote gelten, von denen uns die Bibel nicht frei spricht. Wer der Meinung ist, die Kirche müsse homosexuelle Partnerschaften segnen und homosexuell Lebende zum kirchlichen Amt zulassen, darf angesichts des biblisch begründeten Widerstands anderer Gemeindeglieder erst recht nicht seine Meinung in die Tat umsetzen wollen. Beispiel 4.3 Frauenordination – 1. Kor 14, 34 Die Einführung der Frauenordination gegen die Weisung 1. Kor 14, 34 kann nicht als Argument dafür herhalten, das die Kirche aus zeitbedingten Vorstellungen der Antike ihre Lehre und ihre Praxis fortentwickeln müsse. Paulus hat ein missionarisch-evangelistisches Interesse: Außenste- henden soll durch die Gestaltung des Gottesdienstes und die Art der Verkündigung der christli- chen Gemeinde kein unnötiger Anstoß gegeben werden. Diesem missionarisch-evangelistischen Interesse sind alle Ordnungsfragen in der Gemeinde unterzuordnen. Darin ist Paulus nicht über- holt, sondern auch für die Gegenwart gültig und verbindlich. Strittige Fragen eignen sich jedoch in keiner Weise, werbend für das Evangelium benutzt zu werden. Zusammenfassung Diese und andere biblische Zusammenhänge zeigen, dass es keinen Grund gibt, von den Wei- sungen zur Homosexualität abzuweichen. Im Gegenteil. Sie werden durch den biblischen Ge- samtzusammenhang gestützt. Die festgestellte „tiefe Uneinigkeit" kann also überwunden wer- den, wenn man sich nur an den reformatorischen Grundsatz hält, dass die Bibel sich selbst aus- legt. 5. Alte und neue Diskriminierung Die christliche Kirche hat sich in der Vergangenheit an der allgemeinen Diskriminierung homo- sexueller Menschen beteiligt und dabei Schuld auf sich geladen. Niemand in der Kirche bestrei- tet dieses. Eine allgemeine Diskriminierung homosexueller Menschen gibt es aber in der Ge- genwart nicht mehr. In dieser Hinsicht ist die Kirche nicht mehr herausgefordert. Wohl aber muss sie mit ihrer Seelsorge für alle homosexuell empfindenden Menschen da sein. Vor allem muss sie sich schützend vor diejenigen homosexuellen Menschen stellen und sie in ihre Ge- meinschaft liebevoll aufnehmen, die an ihrer Homosexualität leiden, sie überwinden wollen, dazu Hilfen suchen und von der organisierten Lesben- und Schwulenbewegung diskriminiert werden. Es reicht also nicht aus, homosexuellen Menschen nur Sympathie entgegen zu bringen. Es braucht ein vertieftes Verstehen und die nötige Sachkunde darüber, wie Homosexualität ent- stehen kann. Eine Besonderheit des christlichen Gottesdienstes im Unterschied zu Kulthandlungen mancher anderer Religionen besteht darin, dass er öffentlich gehalten wird und alle Menschen Zugang zu ihm haben. Auch homosexuelle Menschen haben jederzeit Zugang zu ihm. Sie können, wie alle anderen Christen das Wort hören, mit den anderen beten und singen, Vergebung empfangen, zum Abendmahl kommen und den Segen am Ende des Gottesdienstes empfangen. Mehr braucht es grundsätzlich nicht zum Christsein. Wer mehr für sich beansprucht und z.B. für eine in der Bibel nicht vorgesehene Situation eine öffentliche (Segens-)Handlung der Kirche verlangt, ge- fährdet sein Christsein. Denn Sonderrechte gibt es in der christlichen Gemeinde nicht. Die Ein- führung einer neuen kirchlichen Handlung, wie immer man sie nennt, und bereits die Erarbei- tung entsprechender liturgischer Texte sind deswegen absolut unangebracht. 25. Februar 2003 Wolfgang Brunner, Dekan i.R. Vorsitzender des PGB Baden Am Wolfsbaum 45 75245 Neulingen Günther Wacker, Pfarrer Stellvertretender Vorsitzender Pforzheimer Str.7 75239 Eisingen