Zur Plakataktion der EKHN:
Ich wähl meine Kirche  -  Jugend in den KV

Zugegeben: Das hier vorgestellte ist das aggressivste von insgesamt sechs
Motiven der Plakate, die Jugendliche für die Wahl des Kirchenvorstands ihrer
Gemeinde begeistern sollen. Aber die anderen gehen m.E. genau so weit an
dem vorbei, was in unseren Schaukästen tolerabel erscheint, außerdem auch 
am angeblichen Ziel der Aktion: Nämlich Jugendliche für die Wahl ihres
Kirchenvorstands zu begeistern.

Daneben erreichen die Plakate
allerdings möglicherweise das 
genaue Gegenteil von dem, 
was sie erreichen sollen: Sie 
verprellen die Menschen, die 
wirklich zur Wahl ihres Kirchen-
vorstands gehen wollen, die 
Alten und die Menschen in den 
mittleren Jahren, also unsere 
treuesten Gemeindeglieder 
und Kirchgänger.

Gerade von dem hier vorge-
stellten Plakat wird den Älteren
vermittelt: Ihr könnt abtreten!
Wir (Jugendliche) sind dran!

Ich versuche mir jetzt nur einen
Moment vorzu
stellen, der Blick
eines jungen Menschen - vielleicht
im Alter des hier abgebildeten -
fiele auf das Plakat - woran würde
er denken, was für ein "Produkt"
erwartete er hinter der Anmutung
dieses Posters? Ein Popkonzert vielleicht. Eine Einrichtung der Drogen- oder Er-
ziehungsberatung? Der Hinweis auf die neue CD einer Boy-Group? - Mitnichten 
aber "seine" Kirche!

Überdies versuche ich, was noch wesentlich schwieriger ist, mir vorzustellen, ein
Jugendlicher, wie der auf dem "Werbe"-plakat abgelichtete, würde in seinen Kir-
chenvorstand gewählt. Ob er - nach der emotionalen Befindlichkeit, die er vermit-
telt - im Leitungsgremium seiner Gemeinde wohl finden würde, was er in "seiner"
Kirche sucht. Und ob das wohl lange gut ginge in der Zusammenarbeit mit den 
anderen Mitgliedern? 

Aber es ist nicht nur die Aggressivität, die an diesen Plakaten ins Auge springt 
und abstößt. Es ist auch der Etikettenschwindel, den sie betreiben. Oder - und 
das wäre für mich persönlich noch schlimmer - es handelt sich bei der Kirche, 
die hier wirbt, nicht mehr um die Gemeinschaft der Gläubigen, die sich bemüht,
ein Dach für alle zu sein, in der ich vor einem Vierteljahrhundert als Theologe 
und Seelsorger angetreten bin, sondern um eine dem Zeitgeist hinterherhe-
chelnde Lebensbewältigungsorganisation mit ehemals religiösem Anspruch.

Nehmen wir uns eines der harmloseren Poster vor:

"Sinnlich in deiner Kirche!" Hier 
werden Versprechungen gemacht, 
die gerade die Evangelische Kirche 
nicht halten kann! Denn sie ist eine 
Kirche, die sehr (zu sehr?) den Kopf 
anspricht und weniger den Bauch, 
wie man heute sagt. Mit Sicherheit 
allerdings kann die Kirche der Refor-
mation keine Erwartung nach "Sinn-
lichkeit" einlösen, wie sie sich ein 
junger Mensch dieser Tage wünscht.
Da helfen auch die (teils schwer mit
"sinnlich" zu reimenden) Begriffe des
Plakattextes nicht, selbst wenn sie in
einer Schrifttype gesetzt sind, die für
Jugendliche nach Pisa vermeintlich 
besonders leicht zu lesen ist.
Was hat etwa für junge Menschen das Wort "Stop" mit Sinnlichkeit oder gar mit 
Kirche zu tun? (Hier eine Verbindung zu knüpfen, dürfte allerdings auch Erwach-
senen schwer fallen!) Oder wie mögen junge Leute "sinnlich sein" mit "Ethik" 
reimen? Als bezeichnend empfinde ich, daß die Macher des Posters für "Jesus" 
nur die kleinste der verwendeten Schriftgrößen spendiert haben. 
Keiner der zu den Texten der Plakate Befragten, ob jung oder alt, vermochte
bisher irgendeinen Sinn in den wie Kraut und Rüben hingeworfenen Begriffen
entdecken. Ich schließe daraus: Es liegt auch kein Sinn darin.

Unser Fazit in unseren Kirchengemeinden - nach ausführlicher Besprechung der 
Aktion im Kirchenvorstand und mit Jugendlichen unserer Dörfer:

Wir beurteilen die uns zum Aufhängen übersandten Plakate zur Werbung von 
Jugendlichen für die Kirchenvorstandswahl 2003 als teils aggressiv und von ihrer 
Botschaft her - sofern man diese überhaupt erheben kann - ungeeignet, Jugend-
liche für die Kirchenwahl zu begeistern. Ältere Menschen werden von den Plakaten 
abgestoßen und möglicherweise von der Teilnahme an der Wahl abgeschreckt. 
Die Botschaft der Poster ist unverständlich. Eine Beziehung der Anmutung zur 
real existierenden Kirche kann von uns nicht hergestellt werden. Die Aktion dient 
u.E. daher nicht dem Ziel, dem sie dienen soll; sie schadet ihm eher.

Manfred Günther