von Anneus Buisman
Stolz liegt die Kirche seit fast schon
800 Jahren auf der Warf über dem kleinen Ort. Im Innern erinnert eine Tafel an
die unablässige Folge lutherischer Pastoren seit der Reformation. Kein Zweifel:
sie haben den Ort mitgeprägt. Der Kirchenbesuch ist, wie an vielen Orten
Ostfrieslands, an normalen Sonntagen eher spärlich. Wenn die Alten erzählen,
dann war das früher auch nicht viel anders. Und doch: Austreten aus »Ihrer
Kirche« das kommt nur wenigen jedes Jahr in den Sinn. Leider, und auf Grund der
Steuerprogression gar nicht einmal so unverständlich, sind es die jungen
Singles. Sogar Kinder werden hier noch geboren und getauft, fast alle
konfirmiert. Hier ist sicher keine heile Kirchenwelt, aber doch bis in diese
Zeit eine Gemeinde von großer Bindungskraft.
Die erste Sparrunde der Hannoverschen Landeskirche reduzierte die Gemeinde auf
eine 3/4 Stelle.
Ein junger, engagierter Pastor wurde genötigt, sie zu versorgen. Es war ihm die
Pistole auf die Brust gesetzt worden, entweder eine reduzierte Stelle während
der Hilfsgeistlichenzeit oder gar keine.
Am Ende seiner Hilfsgeistlichenzeit sah er sich nach einer neuen Stelle um, ein
neuer Hilfsgeistlicher kam. Bis wann?
In der nächsten Sparrunde und vor allem in der Zeit nach 2008, für die die
Landeskirche schon radikale Einschnitte von 10% auf allen Ebenen angekündigt
hat, ist auch diese reduzierte Stelle kaum zu halten. Ein Ort wird wohl, zum
ersten Mal seit der Reformation, die Präsenz eines evangelischen Pastoren nur
eingeschränkt erfahren, wenn überhaupt. Und das, obwohl noch nie soviel
Menschen zur Gemeinde gehörten, wie heute.
Ähnlich in einer nicht weit entfernten Kirchengemeinde. Von heute auf morgen
wurde die Pfarrstelle von 100% auf 50% reduziert, eine Gemeinde die noch nicht
einmal benachbart war, dazugepackt. Die engagierte und beliebte Pastorin ging
darauf in ein erträglicheres Arbeitsumfeld.
Und das in Zeiten, in denen die Kirche immer noch reich ist, immer noch ein
hohes Kirchensteueraufkommen hat. Aber Hannover wird in der Fläche weiter ausdünnen,
auch wenn die Dichte von Pastoren auf Gemeindeglieder in der EKD schon jetzt an
vorletzter Stelle vor Bremen und Oldenburg steht. Wenn man die vielen
Funktionsstellen abrechnet, dann ist dieses Verhältnis eher noch schlechter.
Eine notwendige Diskussion beginnt
Gemeinden, die Reduzierungen an ihren Pfarrstellen erfahren, beginnen zu fragen:
wie kann es sein, dass wir bei unserer Gemeindegliederzahl, bei der wir -
statistisch hochgerechnet - ein so und so hohes Kirchensteueraufkommen haben müssen,
unsere Stellen nicht zu halten sind?
Herbert Dieckmann, Vorsitzender des Pastorenausschusses der Hannoverschen
Landeskirche, einer der es genau mit Zahlen nimmt, er hat versucht
nachzurechnen, wieviel Anteil an den Ausgaben der Landeskirche denn nun wirklich
die Pfarrbesoldung hat. Er kommt auf um 20%. Die Landeskirche rechnet offiziell
mit höheren Zahlen. Kann es sein, dass sie aus irgendwelchen Gründen
hochrechnet?
Und die Gemeindeglieder denken, sie zahlen für ihre Gemeinde vor Ort. Dass mehr
als die Hälfte (ich setze hier einmal niedrig an) nicht in ihrer Gemeinde
ankommt, werden sie nicht verstehen. Offensichtlich ist im Laufe der Jahre dank
satter Kirchensteuereinnahmen ein kaum zu überschauender Überbau entstanden.
Jeder Bereich ist überzeugt von seiner Wichtigkeit, aber alle zusammen zehren
sie die Basis auf.
Und die Basis merkt es nicht. Ich bin sicher, wenn diese Diskussion die
Gemeindeglieder erreichte, dann würden die Austrittszahlen auch in den bislang
stabilen Gebieten hochgehen.
Beobachtungen in Hannover
Ich hatte im Haus kirchlicher Dienste zu tun. In einer Pause blätterte ich im
Telefonverzeichnis des Hauses. Auf weit über 100 Namen kam ich. Und dann hielt
ich dagegen, wie oft unsere Gemeinde, fern von Hannover, von diesem Haus etwas
hat. Nicht viel mehr als eine Vielzahl von Prospekten und Hochglanzbroschüren.
Irgendetwas scheint schiefgelaufen, wenn eine Flächenkirche wie die
Hannoversche Landeskirche Hilfsangebote für die Gemeinden so zentralisiert hat
und gerade in letzter Zeit diese Zentralisierung noch weiter ausbaut.
Gerade eben hat sich die Landeskirche ein Zentrum für Kirchenmusik geleistet. Für
den Umbau des alten Predigerseminars wurden mehrere Millionen Euro locker
gemacht. Die laufenden Kosten sind auch nicht gering. Und die Gemeinden sparen
weiter.
Zu viel Verwaltung?
Ich will das nicht generell behaupten. Ich empfinde das Kirchenkreisamt unseres
Kirchenkreises als effizient und hilfreich. Auch gibt es Kirchenkreise, die
haben bei den bisherigen Reduzierungen darauf gesehen, dass auch in den
Verwaltungen entsprechend gekürzt wurde. Aber - auf der Mitgliederversammlung
des Hannoverschen Pfarrvereins wurde es von einigen berichtet - es gibt auch das
Umgekehrte: Streichung der geistlichen Grundversorgung und trotzdem Aufstockung
der Verwaltung.
Wie es auf der Ebene der Landeskirche ist, das ist schwer durchschaubar. Hier
ist die Verwaltung ja selber Herr der Zahlen.
Manches an Verwaltung könnte auch durch Engagement in den Gemeinde eingespart
werden. So sollte eine wegfallende Stelle im Amt für Bau- und Kunstpflege
Ostfriesland nicht wiederbesetzt werden. Darauf wurde der Vorschlag gemacht,
diese Stelle durch Umlage aus den Bauinvestitionsmitteln der betroffenen
Kirchenkreise zu finanzieren. Der Kirchenkreistag eines der betroffenen
Kirchenkreise sagte einstimmig Nein zu diesem Vorhaben. Die Begründung: wir dürfen
keine weiteren Investitionsmittel aus den Gemeinden abziehen und werden durch
mehr Eigenverantwortung in den Gemeinden versuchen, die notwendige Bauaufsicht
zu ersetzen. Einer sagte es so: »Unsere Vorfahren haben über Jahrhunderte in
unseren Dörfern auch ohne Bauamt ihre Kirchen unterhalten und gepflegt, warum
sollte das in Zukunft nicht wieder möglich sein?«
Ob wir in dem Maße, in dem wir in der Zukunft reduzieren müssen, auch bei der
Verwaltung kürzen, da bin ich eher skeptisch. Zu mächtig sind die
Lobbygruppen, die es jüngst noch möglich gemacht haben, dass Leiter der
Kirchenkreisämter nach A 14 besoldet werden können (»wegen der gestiegenen
Aufgaben«) während die jüngeren PastorenInnen von dieser Besoldungsgruppe in
Hannover nur noch träumen können. Das ist ja auch eine Wertung.
Innovation und Fundraising
Schlagworte geistern durch unsere Kirche, die Lösungen für die Probleme der
Zukunft verheißen sollen.
Fundraising ist solch ein Modewort. Das Aufreißen von Spenden, möglichst
von Großspendern. Als ob es das nicht schon immer gegeben hätte, auch in
unserer Dorfgemeinde. Wo unsere Gemeindeglieder gesehen haben, dass das Geld
einem einsichtigen Zweck zukommt, bevorzugt in der Gemeinde, da haben sie bei
sonstiger Knauserigkeit reichlich gespendet.
Durch Eigenleistungen haben wir unseren Parkplatz und die Friedhofswege
gepflastert. Kleinere Reparaturen werden oft unentgeltlich gemacht. Nur: auf
Geldleute oder Großfirmen können wir bei der Struktur unserer Gemeinde nicht
hoffen. Und da berührt es mich schon eigenartig, dass Gemeinden, in denen es möglich
war Großspender aufzutun, dann auch noch aus Kirchensteuermitteln einen
Zuschlag bekamen.
Jetzt gibt es so genannte Fundraiser, darunter PastorenInnen, die für diese
Aufgabe freigestellt wurden. Ob sie mehr als ihr Gehalt für unsere Kirche
einbringen? Wenn nicht, dann sollte man die Stellen schleunigst streichen. Ich
habe noch die Bemerkung des Statistikexperten der EKD, Schloz, im Ohr, der sich
daraus keinen nennenswerten Beitrag zur zukünftigen Finanzierung der Kirche
erwartete.
Und dann der Wettbewerb an Innovationen, zu dem wir in den Gemeinden aufgerufen
werden. Aber ist es das Innovative, das Menschen an eine Gemeinde fesselt? Ist
es nicht schlicht und einfach die ganz normale kirchliche Arbeit, verlässlich
und solide, so wie sie in vielen Gemeinden geschieht, die immer noch Menschen
bindet. Dass ich weiß, zu wem ich gehen kann, der meine Kinder tauft, mich
traut, meine Angehörigen beerdigt, die Kranken besucht. Dass da Gottesdienst
ist, jeden Sonntag verlässlich. Hier sind die Austrittszahlen am geringsten.
Eigentlich müsste man von Strukturen lernen, die am erfolgreichsten sind.
Stattdessen begibt man sich auf den Weg der Zentralisierung, die den schönen
Namen Regionalisierung trägt.
Vor 100 Jahren, wir haben es in diesem Jahr gefeiert, ist man mit unserer
Gemeinde den umgekehrten Weg gegangen. Drei Dörfer mit gleicher Tradition
wurden von der Muttergemeinde abgetrennt und bekamen eine eigene Kirche weil sie
»dem kirchlichen Leben entwöhnt waren«, wie es in der Chronik heißt. Die
Geschichte danach war eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Unsere Gemeinde hat
viel dazu beigetragen, dass unsere drei Dörfer eine eigene Identität
entwickelt haben. Das ist heute um so wichtiger, weil sie politisch und ökonomisch
schon längst dem Sog der Zentralisierung ausgesetzt sind.
Dass ihnen ihre Kirche wichtig ist, das haben viele aus der Gemeinde bei einem
Gemeindefest diesen Sommer gezeigt, mit ihrem Engagement, mit ihrer
Begeisterung, mit ihrer Teilnahme.
Immer noch ist sie eine Gemeinde der kleinen Leute, die aber brav und redlich
die Kirche mit ihren Kirchensteuern tragen und keine Schlupflöcher suchen und
finden, sich bei bleibender Mitgliedschaft der Lasten zu entledigen.
Ein Stück Heimat - offensichtlich verbunden immer noch mit dem Beruf des
Pastoren, der Pastorin oder warum sinken die Sympathiewerte für Kirche als
Institution, aber bleiben sie hoch - nach wie vor - für Pastorinnen und
Pastoren?
Das ist doch ein Pfund mit dem Kirche wuchern müsste, gleich den anvertrauten
Pfunden. Stattdessen - um im biblischen Gleichnis zu bleiben - vergräbt sie es.
Die Absprache der Professionalität
Ich begreife meinen Beruf als Berufung, durch sie habe ich ihn ergriffen, nur
darum übe ich ihn - trotz aller Erschwernisse und Abwertungen - noch gerne aus.
Er ist auch solides Handwerk, in einem langen Studium erlernt, durch Jahre der
Erfahrung gereift. Schönste Bestätigung ist es mir, wenn ich bei Gesprächen
im Trauerhaus als Antwort auf meine Frage nach weiteren Wünschen höre: »sie
machen das schon«. Daraus spricht viel Vertrauen.
Aber eben diese Professionalität wird in Frage gestellt. Für die Kirche der
Zukunft entwerfen Einige Modelle, in denen sie mit einer geringen Zahl
ausgebildeter TheologenInnen auszukommen meinen. Einer, bis vor kurzem an der
Spitze der Kirchenleitung, entwickelte das Modell vom Postamt und den Agenturen.
Im Postamt - übertragen also irgendeine Zentralgemeinde - sitzen die, die noch
die ganze Breite der Profession haben, in den Agenturen - also in den
Einzelgemeinden - die, die eine vage Ahnung, aber viel Begeisterung mitbringen
und in Kursen auf ihre Teilaufgaben vorbereitet werden.
Nicht erst seitdem wir einen bösen Reinfall mit einer Postagentur und ihrem
wenig qualifizierten Personal erlebt haben, die uns einen ziemlichen Schaden
beibrachte, bin ich abgrundtief misstrauisch gegen ein solches Modell.
Es heißt nicht mehr und nicht weniger, als dass dem Pfarramt die Professionalität
abgesprochen wird. Ein in Jahrhunderten gewachsener Beruf wird zur Disposition
gestellt. Irgendwer wird sich schon finden, der die Begeisterung, vielleicht
sogar die Fähigkeit zum Predigen hat, der vor allem billiger ist und den
beauftragen wir in Zukunft mit der Versorgung kleiner Gemeinden.
An diesem Punkt werde ich polemisch: in Zukunft werden wir Kirchenführungen nur
noch mit Diplom machen können … aber auf die Kanzel kann der, der sich dazu
berufen fühlt.
Verkündigung darf nicht mehr soviel kosten … wie beschämend für eine Kirche
des Wortes.
Regionalisierung
Eines der Zauberworte moderner Kirchenmanager. Es ist geschickt gewählt. Weil
es z.B. in der Europapolitik meint, dass wieder mehr Funktionen aus der Zentrale
an die Basis gegeben werden sollen, ist es positiv besetzt. In der kirchlichen
Diskussion aber ist das Gegenteil gemeint, da geht es im Kern um
Zentralisierung, ein Wort, das keinen so guten Klang hat.
Sie könnte mir ja recht sein. Geregelte Wochenenden, mehr freie Sonntage, ich
kann meinen Urlaub endlich einmal ganz nehmen. Die Residenzpflicht macht in
diesem Modell auch immer weniger einen Sinn. Bei Auszug aus dem Pfarrhaus könnte
ich ein Haus kaufen oder bauen, im Alter besser versorgt sein. Ich könnte das
an Arbeitsfeldern abstoßen, was mir nicht so liegt und mich konzentrieren auf
das, was ich besser kann. Die Diskussion um Arbeitszeiten wie bei anderen
kirchlichen Mitarbeitern einschließlich Überstundenausgleich würde befördert.
Irgendeiner, irgendeine tauft, traut, beerdigt, hält Gottesdienst - das lässt
sich alles geregelt planen mit dem nötigen Pool von beweglichem Personal. Nein,
Versorgungslücken entstehen nicht. Oder doch? Aus den größeren Städten hört
man manchmal die Klage der Bestatter, dass sie Mühe haben, PastorenInnen für
eine Beerdigung zu finden. Offensichtlich kann man sich dort mit guten Gründen
auch verdrücken.
Ob Personal gespart würde? Wenn der jetzige Versorgungsstandard gehalten werden
soll, dann eher nicht. Ich halte das Modell der Parochie immer noch für das
billigste, weil es von viel engagiertem Einsatz fern aller Arbeitszeitregelungen
lebt und profitiert - oft auch der Pfarrfamilien.
Regionalisierung wäre ein Freizeitfortschritt für mich - und doch nicht der
Beruf, den ich lieben würde. Ich habe mich immer in meinem Beruf den Menschen
aussetzen wollen, ihnen nahe sein wollen. Dass mein Telefon auch am späten
Abend klingelt und am Wochenende, dass manche Notlage ihre Abhilfe fand, ohne an
entsprechende Einrichtungen zu verweisen, schlicht und einfach: dass ich
inmitten der mir anvertrauten Menschen lebe, das habe ich immer so gewollt. Das
war das Modell, in das ich eingetreten bin, das schon lange vorher bestand und
ich frage mich, was uns treibt, es auf dem Altar vermeintlich modernerer
Strukturen zu opfern.
In der jüngsten Ausgabe des Zentralorgans unserer Kirchenleitung, dem Dialog,
wird unter dem Titel »Der Ortsgemeinde treu bleiben?« in pro und contra
diskutiert, was dagegen spricht, sich über die Gemeindegrenzen hinaus auch dort
umzusehen, wo man für sich passende Angebote sieht. Da soll offenbar eine
Entwicklung vorbereitet werden.
Wenn wir genau hinsehen, dann handelt es sich bei den »Gemeindehoppern« um
eine kleine Gruppe innerhalb der Gemeinden. Meistens sind es überaus
engagierten Christen. Für sie hat sich der Blick über die Ortsgemeinde hinaus
geweitet. Die Mehrheit der Gemeindeglieder aber wird Kirche überhaupt nicht
mehr wahrnehmen, wenn sie mit ihren Angeboten aus ihrem Blickfeld verschwindet
und nicht mehr ortsnah ist.
In meiner Heimatgemeinde gab es früher den traditionellen Passionsgottesdienst.
Immer am Freitagabend in der Passionszeit. Anstatt inhaltlich diese eingeführte
Tradition zu gestalten, wie ich es mit Erfolg getan habe, hat man begonnen, im
Laufe der Jahre die verschiedensten Terminverlegungen zu probieren. Aus Freitag
wurde da auch schon mal Mittwoch, als ob der Freitag nicht einen inhaltlichen
Sinn hätte, dann kam man auf die Idee, nur in der Karwoche, aber dann jeden
Abend Andachten anzubieten, seit einigen Jahren reist man im Gemeindeverbund in
verschiedenen Kirchen herum. Jede Gemeinde bemüht sich, irgendeine Gruppe fest
einzubinden, aus anderen Gemeinden kommt so gut wie keiner. Ihren Sitz im Leben
der Gemeinde hat der Passionsgottesdienst dort verloren und wird daher
verschwinden.
Ebenso könnte es dem Gemeindegottesdienst gehen. Sicher, ein, zweimal im Jahr
feiern wir zu ganz bestimmten Anlässen auch mit den Nachbargemeinden gemeinsame
Gottesdienste. Da kommt dann auch ein ganz besonderes Publikum. Aber für den »normalen«
Sonntagsgottesdienst wird dies Modell nicht funktionieren.
Aus einer der Städte unserer Landeskirche war zu hören, dass man bei den
verschiedenen Innenstadtkirchen reihum immer einen Gottesdienst ausfallen lässt.
So spart man einen Prediger, einen Organisten, ein Einheizen. Natürlich steht
das in Gemeindebrief und Zeitung, aber wer informiert sich schon so genau. Als
Folge standen immer mal wieder Gemeindeglieder vor ihrer verschlossenen Kirchentür.
Wen wundert es, dass sie sich dann lieber der Alternative des Rundfunk- oder
Fernsehgottesdienstes zuwenden, von dem sie verlässlich wissen, dass er
stattfindet.
Es kostet schon Kraft, Anstrengung und Phantasie, um jeden Sonntag wieder einen
Gottesdienst zu gestalten, der Menschen anzieht. Deshalb auch meine Zweifel, ob
der einfache Schlüssel nach Gemeindegliederzahlen zur Bewertung einer
Pfarrstelle taugt.
Manchmal werde ich auch müde in diesen langen Jahren, in denen ich als einziger
Hauptamtlicher in meiner Gemeinde tätig bin. Dann denke ich: es gibt doch
andere Strukturen, in denen du es besser hättest. Und Ermutigung durch deine
Kirche erfährst du sowieso kaum. Aber dann spüre ich auch, wie etwas zurückkommt,
wie eine Gemeinde auch registriert, dass da einer seine Arbeit mit viel Einsatz
tut.
Ein fragiles Verhältnis: Kirchenvorstand und Pfarramt
Wenn ich in meine Nachbargemeinden sehe und auf meine eigene Erfahrung blicke,
dann ist die Regel ein freundschaftliches und partnerschaftliches Miteinander
von Kirchenvorstand und PastorIn. Sicher, hier und da gibt es auch ein
Gegeneinander und nicht immer ist der Pastor, die Pastorin schuld. Auch unter
KirchenvorstehernInnen gibt es Egomanen, Alleinherrscher und Starrköpfe.
Aus einer Kirchengemeinde hörte ich, dass dort die Kirchenvorsteher bei den
Konfirmationsfotos mit auf das Bild wollen. Auch eine Art von neuem
Selbstbewusstsein.
Das Verhältnis Kirchenvorstand-Pfarramt gut auszutarieren, ist keine leichte
Aufgabe. War es wohl nie.
Ob es besser gelingt, wenn man in diesem Gefüge die Rechte des Pfarramtes
weiter schwächt? Einige, die nicht wenig Macht in unserer Kirche haben, die möchten
den Pastor, die Pastorin am liebsten heraus haben aus dem KV. Sie stricken
daran, die Gesetze, in dessen Rahmen sich PastorenInnen bewegen, so
zuzuschneiden, dass in Zukunft lenkbare, steuerbare, abhängige und leicht
versetzbare mittlere Angestellte herauskommen, sowohl des Kirchenvorstandes, als
auch der Kirchenleitung oder eines mächtiger werdenden Kirchenkreises.
Ob das wirklich das ist, was unsere Gemeinden gebrauchen? Wenn ich auf die Verhältnisse
bei uns und um uns herum sehe, dann zeugt das auch von Realitätsverlust. Woher
sollen die so gewollten Kirchenvorstände, auf denen dann ja auch die ganze Last
der Verantwortung für ihre Gemeinde liegen wird, denn kommen?
Ein Kollege hat einmal die Probe auf Exempel gemacht. Er hat sich bei der
Neuwahl zum Kirchenvorstand nur an das gehalten, was das Kirchengesetz an
Schritten zur Werbung vorsah. Die Folge: zur Wahl stand seine Gemeinde ohne
Wahlliste da.
Ohne ein ortsnahes Pfarramt, das sich ständig darum sorgt, wie Menschen zu
finden sind, die sich in der Kirche engagieren, das darum wirbt, darauf
vorbereitet und darin unterstützt, wird auch das ehrenamtliche Engagement
Schaden nehmen. Es wird schlicht und einfach kaum noch stattfinden. Es ist
Illusion zu glauben: ist einmal der Pastor weg, dann werden die Laien schon dafür
sorgen, dass Gemeinde überlebt.
Wenn unsere Bischöfin vor der Synode sagt, sie höre aus dem Gemeinden, dass
man nicht weniger, sondern mehr PastorenInnen wolle, so ist es schon fahrlässig,
darüber hinwegzugehen. Es gibt offenbar auch in der Synode eine ganze Reihe,
die wie in einem Raumschiff leben, fern von der Basis, geleitet von
ideologischen Wunschbildern, verhaftet einem Denken, das vorgibt, von morgen zu
sein und nicht merkt, dass es schon von gestern ist.
Die Zukunft wird nicht den großen unüberschaubaren Einheiten gehören (in der
Politik ist das inzwischen angekommen), Zukunft hat auch Kirche und Gemeinde
nur, wenn sie so nah wie möglich an den Menschen bleibt.
Kein Platz mehr für Typen
Auf der alten Kanzel einer Nachbargemeinde las ich das Bibelwort: »Rufe
getrost, schone nicht! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune!« (Jes. 58,1). Ich
kann allen Kolleginnen und Kollegen nur dringend abraten, dies Bibelwort zu
beherzigen. Zu leicht käme ein Verfahren wegen mangelnden gedeihlichen Wirkens
heraus. Gefragt sind Diplomaten, PastorenInnen, die nirgends mehr anecken.
Vor Jahren sah ich einmal in einem Kabarettprogramm eine Kandidatenmaschine.
Vorne gingen die unterschiedlichsten Kandidaten hinein, der Ökofreak, der
Liturgiker, der Kumpeltyp, der Aktenhocker. Einmal durch die Maschine
landeskirchlicher Ausbildung und heraus kam der landeskirchlich perfekte
Durchschnittspfarrer.
So hätte man uns gerne: zu Funktionären, zu Rädchen, die jede
landeskirchliche Dienstanweisung millimetergenau umsetzen. Dabei will man doch
auf der anderen Seite, dass unser Verkündigen kreativ und phantasievoll
geschieht. Wie das zusammengehen soll, das muss man mir einmal erklären. Ich
denke an das Wort des bekannten Predigers Spurgeon der meinte, ein guter
Prediger zu sein und zugleich Diplomat, das schlösse sich aus.
Deshalb muss unsere Kirchenleitung es auch tolerieren, ja sie sollte sich darüber
sogar freuen, dass es die unterschiedlichsten Pastorentypen gibt. Probleme macht
es manchmal, wenn sie am falschen Ort sitzen.
Wenn ich so in den Kreis meiner Kolleginnen und Kollegen blicke, da sind da
manche, deren Arbeit würde ich natürlich ganz anders machen - aber sie sind
getragen, toleriert, manchmal sogar geliebt von ihren Gemeinden.
Ein Kandidat für die Synodenwahl schrieb im Vorfeld, er würde dafür
eintreten, dass ein Pastor nicht mehr als zwei Hobbys haben darf. Am liebsten
war ihm wohl, sie würden sich ausschließlich für ihren Beruf engagieren. Ich
glaube, der gute Mann hat noch nie etwas davon gehört, dass der, der die
Bienenzucht und Honigproduktion revolutionierte, der Pastor einer kleinen
Landgemeinde war.
Natürlich, hoffentlich hat jeder, jede von uns Hobbys, Vorlieben und Neigungen.
Schade, wenn sie in den privaten Bereich abgedrängt werden und ansonsten
schamhaft verschwiegen werden müssen.
Ich weiß, dass es Übertreibungen gibt. So, wenn einer nur noch am PC klemmt
und kaum noch den Weg in die Gemeinde findet. Aber warum sollte nicht auch
dieser Lebensbereich befruchtend für eine Gemeinde sein und sei es, dass er die
nötige Erholung gibt, wieder fröhlich das alltägliche Pfarrgeschäft zu tun.
Also: keine Angst vor Typen - denn oft waren sie es, die neue Impulse gaben und
Kirche voranbrachten.
Schlechte Aussichten?
Ich weiß es nicht. Wenn unsere Kirche in die eingeschlagene Richtung der Ausdünnung
der pfarramtlichen Versorgung weiterhin geht, dann uneingeschränkt Ja.
Dann macht sie aus dem Pfarrberuf einen Beruf, der nur noch sehr selten Freude
macht, weil er sich beschränken muss auf die Ableistung von Gottesdiensten und
Kasualien an vielen verschiedenen Orten. Der kaum noch zu den Menschen kommt und
noch weniger zu sich selbst. Die Zahl derer, die ihn studieren wollen, wird noch
mehr sinken, als es schon jetzt der Fall ist.
Dann sägt sie sich auch den Ast ab, auf dem auch die anderen Berufe in der
Kirche sitzen. Der Mitarbeiterverband, das machen die jährlichen Gespräche
zwischen ihm und dem Pfarrvereinsvorstand deutlich, er hat das inzwischen
begriffen.
Eine Prioritätendiskussion wird in unserer Kirche seit Jahren angekündigt und
sie findet doch nicht statt. Es wird weiter nach dem Rasenmäherprinzip gekürzt.
Manchmal frage ich mich, ob dies denn wirklich eine Kirche ist, die den Titel
Reformatorisch verdient.
Veränderung kann es - so meine Überzeugung - dann geben, wenn endlich die
Gemeinden und auch die Pastorinnen und Pastoren dieser Gemeinden aufwachen und
in die Diskussion einsteigen. Wenn auch die Provinz ihre Stimme erhebt - denn
manchmal, so zeigt es uns die Entstehungsgeschichte der Kirche, da kommt die
positive Veränderung gerade aus der Provinz.
Pastor A. B., ab 1972 Pastor in
Marienhafe (Ostfriesland), ab 1979 Pastor in Aurich-Plaggenburg (Ostfriesland),
seit 1979 Schriftleiter des Hannoverschen Pfarrvereinsblatts, seit 2002 Mitglied
im Pastorenausschuss der Hannoverschen Landeskirche.