Das Evangelium wird zur Ware Die Evangelische Kirche im Sog betriebswirtschaftlicher Maximen "Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein" – diese Warnung des Jakobus ruft unser Autor der Würzburger Synode der Evangelischen Kirche (EKD) in Erinnerung. In einem Perspektivpapier des EKD-Rats hat er zu viel Effizienzdenken ausgemacht. VON JOACHIM PERELS Die Synoden der evangelischen Kirche haben eine große Tradition. Auf ihnen standen Fragen des konkreten Glaubenszeugnisses - wie der Stellung zum Hitler-Regime oder zur Atomrüstung - im Zentrum. Die Beschlüsse des Kirchenparlaments waren wegweisend für den Protestantismus. Ein in diesem Jahr veröffentlichtes Impulspapier des Rates der EKD zu Perspektiven der evangelischen Kirche im 21. Jahrhundert ist eine Herausforderung für eine Synode, die sich theologischer Erkenntnis verpflichtet weiß. Das Papier orientiert sich in starkem Maße an Kriterien, die Beraterfirmen an Industrieunternehmen oder staatliche Einrichtungen anlegen, um deren Effizienz zu steigern. An mehreren zentralen Stellen wird, entsprechend der betriebwirtschaftlichen Maximen, die Kosten zu senken und den Wert der Waren und Dienstleistungen zu erhöhen, auch die Kirche als eine Einrichtung angesehen, die ihr Aufgabe durch "ein verlässlich hohes Qualitätsniveau" erfüllen soll, das die "evangelischen Kernangebote…" stabilisiert und steigert. An der quantitativ messbaren Erhöhung der gottesdienstlichen Kasualien bemisst sich der Wert kirchlicher Arbeit, dessen theologisch zu begründender Inhalt - die Verkündung des Evangeliums - nicht in den Blick genommen wird. Tatsächlich heißt es quantifizierend: "Der durchschnittliche Gottesdienstbesuch am Sonntag sollte von derzeit vier Prozent auf zehn Prozent aller Kirchenmitglieder gesteigert werden"; es (gilt), "die Taufquote signifikant zu erhöhen"; bei evangelischen Partnern sei "eine Trauquote von 100 Prozent anzustreben". Zu dieser Linie einer kirchlichen "Qualitätsoffensive" gehört, dass die Ausrichtung der frohen Botschaft eine verquaste Gestalt annimmt: Dem christlichen Glauben wird eine sogenannte "Beheimatungskraft" zugemessen, die mit "Wiedererkennbarkeit, Verlässlichkeit, Zugewandtheit und Stilbewusstsein" zu tun habe, als träfen diese Worte den Gehalt des Evangeliums. Auch für ein funktionstüchtiges privates Wirtschaftsunternehmen, das sich den Wiedererkennungswert seiner Produkte zum Ziel setzt, das verlässliche Lieferfristen einhält, dessen Marken Stilbewusstsein zeigen, könnten die für die Arbeit der Kirche aufgestellten Kriterien gelten: ein Zeichen für die fehlende Distanz zu dem, was die Bibel den alten Äon (Zeit vor der Schaffung einer neuen Welt, Red.) nennt. Ohne die der Kirche aufgetragene Botschaft auf einfache Formeln zu bringen, zeigt ein Blick ins Neue Testament, dass es, durch Jesu Sprechen und Handeln beglaubigt, die vorhandene Welt der von Mächtigen und Reichen bestimmten Herrschaftsbeziehungen von Grund auf in Frage stellt; ein wesentlicher Zielpunkt des Evangeliums, der mit der Umwandlung des Christentums in eine Staatsreligion seine Bedeutung weitgehend eingebüßt hat, ist die endzeitliche Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in dem Gott seine Hütte bei den Menschen errichtet (Offb.21,1-3). Von dieser weltkritische Dimension des Christentums, die bei Jakobus in den Satz gefasst ist "wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein" (Jakobus 4,4,), ist in dem Papier nichts zu spüren, als gäbe es bestimmte Weisungen Jesu nicht, die die Stellung der Christen zur Welt markieren: "Ihr wisset, dass die weltlichen Fürsten ihre Völker niederhalten und ihre Mächtigen tun Ihnen Gewalt. Aber so soll es nicht sein unter euch…Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zur Erlösung für viele" (Markus1o,42-44). Das Postulat, die Menschen "mit den elementaren Wissensbeständen der evangelischen Frömmigkeit vertraut zu machen" hat den Anklang an einen bildungsbürgerlichen Grundkurs, in dem allerdings die Frage der Nachfolge Jesu nicht vorkommt, sondern kontemplativ, in Gestalt der bloßen Aneignung religiösen Wissens, stillgelegt ist. Auch die Aufspaltung von Denken und Handeln, der Verkürzung der Botschaft auf die Vermittlung religiöser Wissensbestände, steht in direktem Widerspruch zu den Weisungen des Neuen Testaments, die durch Einheit von Glauben und Nachfolge bestimmt sind. Jesus sagt: "Die hören das Wort, aber die Sorgen der Welt und der Betrug des Reichtums … ersticken das Wort, und es bleibt ohne Frucht" (Markus 4,19) Und Paulus setzt hinzu: "Wenn ich … wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts" (1.Korinther 13,2). Schließlich werden die gesellschaftlichen Machtbeziehungen als unüberschreitbarer Ausgangs- und Endpunkt kirchlicher Arbeit hingenommen: "Die Verbindung zu den gesellschaftlichen Eliten soll gestärkt werden". Ganz abgesehen davon, dass diese Eliten in ihrer Stellung schon im Grundgesetz nicht festgeschrieben werden, weil es das Prinzip des sozialen Rechtsstaats normiert, der die Realisierung demokratischer Teilhabeformen in der Gesellschaft ermöglicht, gehören im Neuen Testament die Eliten, die Mächtigen und die Reichen zu denjenigen, denen der Weg ins Himmelreich versperrt. In Gottes Rede heißt es: "Er stößet die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllet er mit Gütern und lässt die Reichen leer"(Lukas 1, 51-53) . Die evangeliumsferne Struktur des Papiers beruht auf einer Weichenstellung, die der Ratsvorsitzende, Bischof Huber, so bezeichnet: "Das gemeinsam verantwortete Gerechtigkeitshandeln (wird) in diesem Text nicht eigens thematisiert" (FAZ v.6.7.2006). Eine Kirche Jesu Christi, die zur Formulierung ihres Selbstverständnisses den Begriff der Gerechtigkeit ausklammert, der von Jesus in der Bergpredigt allein in zwei Seligpreisungen im Zentrum steht und als Inbegriff menschenwürdiger und christförmiger Existenz erscheint, verkennt ihren Auftrag. Bischof Huber ist ein großer Kenner Dietrich Bonhoeffers, der doch die bloße Reproduktion religiösen Lebens kritisierte: "Man taufte, man konfirmierte…Man spendete Gnadenströme ohne Ende, aber der Ruf in die strenge Nachfolge Christi wurde seltener gehört." Von dieser Einsicht ist das Papier durch einen Abgrund getrennt. In der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 ist, anders als im Text des Rats, die unauflösbare Verbindung von Glauben und Handeln gültig festgehalten: "Wie Jesus Christus Gottes kräftiger Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Laben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen". Der Autor: Joachim Perels (Jahrgang 1942) ist Professor am Institut für politische Wissenschaft an der Universität Hannover. Er gehört unter anderem dem Vorstand der Martin-Niemöller- Stiftung und dem wissenschaftlichen Beirat des Fritz-Bauer-Instituts an. Zu seinen Arbeitsgebieten gehören die politischen Implikationen von Theologie. [ document info ] Copyright © FR online 2006 Dokument erstellt am 07.11.2006 um 09:52:03 Uhr Letzte Änderung am 07.11.2006 um 10:08:50 Uhr Erscheinungsdatum 07.11.2006