„Die Schlange hatte weniger an, aber mehr drauf ...“ Zur Bibel in gerechter Sprache (von Pfr. Michael Brück) Nachdem mit der „Volx“-Bibel des Theologen Martin Dreyer den „Jesus-Freaks“ im wahrsten Sinn des Wortes aufs „Maul“ geschaut wurde, gibt es sie nun endlich: die „Bibel für das neue Jahrtausend – die Testamente in gerechter Sprache“. Es ist sehr erfreulich, wenn sich in der Kirche mit dem Wort Gottes beschäftigt wird, nicht nur mit Strukturen und Finanzen. Doch bei der Bibel in gerechter Sprache (BgS) bleiben Fragen. Die Wirklichkeit und Heiligkeit des dreieinigen Gottes. In der BgS wird im „Ersten und Zweiten Buch Samuel“ der Begriff „HERR“ – für das hebräische „Jahwe“ – durchweg mit Gott übersetzt, im „Ersten und Zweiten Buch der Könige“ dagegen mit „die Ewige“. Insgesamt werden annähernd 20 Varianten anstelle des Gottesnamens vorgeschlagen. Die Hebräer schrieben aus Ehrfurcht vor der Heiligkeit den Namen Gottes nicht aus. Stattdessen umschreiben die Juden bis heute mit „JHWH“. Beim feministischen Gott dagegen wird ständig auf die vermeintliche Doppelgeschlechtlichkeit Gottes verwiesen, wo doch der ewige und allmächtige Gott der christlichen Lehre zufolge ungeschlechtlich und unteilbar ist. Nun wird Gott „hochgradig sexualisiert“ (in: Der Spiegel, 44/2006, S. 190-192). Wie schon bei Nikolaus von Zinzendorf übernimmt „die Geistin“ bzw. „die Geistkraft“ die weibliche Rolle. Der Sohn wir „neutrisch“ zum Kind neutralisiert. Nur der Teufel und Satan bleiben männlich. Eine Pontia Pilata gibt es auch nicht. Die Auslegung und Autorität der Bibel als Grundlage der Kirche. Beschwört vielleicht gerade die BgS das Ende der so genannten „Historisch-kritischen Methode“ in der theologischen Wissenschaft herbei? Wenn das ganze nicht so beschämend wäre, hätten jetzt endlich die evangelikalen und andere Fundamentalisten – „Damen“ wie Herren – allen Grund zum „fun“, zur Freude. Denn das ganze Werk der BgS ist weder politisch korrekt, noch kritisch, keine Exegese, sondern Eisegese, sprich: Hineininterpretation. Zwischen Übersetzung einerseits, Übertragung, Deutung und Auslegung andererseits wird nicht klar unterschieden. Historische Fakten, so schlimm und traurig sie für manche Köpfe und Herzen auch sind, werden verkannt und verdreht. Das Skandalon einer patriarchalischen antiken Gesellschaft wird in der BgS bewusst nicht ausgehalten, sondern glatt gebügelt, gegenwärtigen und zeitgeistigen Wertvorstellungen angepasst, dadurch meistens verharmlost oder verfälscht. Die Richterin Deborah, die Prophetinnen Hulda und Hanna, die Jüngerin Tabita und Apostel(in) Junia(s) und andere dienen allesamt als „Genossin Trend“. Es wird schlichtweg verkannt, dass der engste Zwölferkreis von Jesu Jüngerschaft allesamt aus – fehlbaren, feigen, schwachen – Männern bestand. Auf diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher und bewundernswerter, dass die ersten Zeuginnen von Christi Auferstehung Frauen aus dem erweiterten Kreis der Jüngerinnen und Jünger waren. Es geht dagegen bei der BgS nicht um das Erforschen der Quellen, um ein Herantasten bis an die Wurzeln und das Herausfinden des ursprünglichen Sinns, sondern das neue Antidiskriminierungsgesetz des christlichen Abendlandes wird auch für die Bibel des alten Orients verpflichtend gemacht. Wieder einmal mehr ist der Wunsch die Mutter und der Vater des Gedankens, ist man und Frau der eigenen Ideologie aufgesessen. Die Bibel hat kaum noch Autorität für den Glauben und Leben der Menschen. Die Heilige Schrift ist längst keine verbindliche Grundlage und Größe für die Lehre der Kirche mehr. Somit kann das Wort Gottes kraft der eigenen, modernen, wissenschaftlichen oder geschlechtsspezifischen Autorität instrumentalisiert und funktionalisiert werden. Zur Möglichkeit einer geistigen Klimaveränderung. Klima nennt man den Zustand der Atmosphäre über einem bestimmten Gebiet und den für dieses Gebiet charakteristischen Ablauf der Witterung. Es gibt wetterbestimmende Faktoren, die erst im Zeitverzug klimatisch wirksam werden. Man kann das Meteorologische auf das menschliche, geistige und geistliche übertragen. So haben sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt die Ansichten von feministischen Theologinnen und Theologen – nicht zuletzt mit massiver Unterstützung seitens der offiziellen Amtskirche – im binnenkirchlichen wie gesellschaftlichen Bewusstsein niedergeschlagen. Auch die BgS als „neuestes“ Testament ist der Versuch, bestimmten theologischen und gesellschaftlichen Trends und Tendenzen genüge zu leisten und diese aufzuwerten. Der christliche Gottesdienst der im Namen Jesu versammelten Gemeinde. Wie der Gottesdienst mit der Heiligen Schrift steht und fällt, so ist auch die Heilige Schrift durch den Gottesdienst gegenwärtig. Wo aber das Bibelwort verdrängt oder verfälscht wird, werden unvermeidlich andere Autoritäten durch Zwang oder Begeisterung die Herrschaft ergreifen. Wie steht es um die kirchenamtliche Einführung und agendarische Verpflichtung einer Bibel in gerechter Sprache im Gottesdienst? Wird zukünftig aus der neuen Bibel in gerechter Sprache oder aus der alten Bibel in ungerechter Sprache gelesen, gepredigt und verkündigt? Was ist mit denen, die aus guten, sachlichen Gründen bei der Übersetzung nach Dr. Martin Luther bleiben wollen? Sind oder handeln diese Menschen nicht nur altmodisch und uneinsichtig, sondern sogar lieblos, ausgrenzend, verletzend, „ungerecht“? Sind hier die Gefühle und Gedanken frei von Urteilen, Vorurteilen und Verurteilungen? Wir stehen mitten in der Dekade gegen Gewalt. Es gilt diesbezüglich diskriminierenden und kriminalisierenden Tendenzen und Strukturen gerade auch in der Kirche in jeder Hinsicht zu wehren. Identifikation und innere Einheit, Bestand oder Spaltung der EKHN. Wie schon bei der Problematik um die Segnung homophiler Paare beeinträchtigt auch die BgS die innere Einheit der EKHN. Viele engagierte Menschen und überzeugte Christinnen und Christen können sich immer schwerer mit „ihrer“ Kirche identifizieren, gehen in eine innere Emigration. Die durch diese und entsprechend weitere Experimente und Entscheidungen ausgelöste Klimaveränderung gefährdet neben dem äußeren, vor allem auch den geistigen und geistlichen Bestand der EKHN als Volkskirche. EKHN als reformatorische Kirche. Die Frage nach dem rechten Verständnis des Wortes Gottes ist für jede aufrechte Protestantin und jeden aufrechten Protestanten die (!) Kernfrage von Kirche. An diesem Streitfall lässt sich die Frage zuspitzen: Sind wir noch Kirche in der Sendung Jesu Christi, wenn an nicht wenigen Stellen in der „gerechten Bibel“ der Name „Christus“ ersetzt oder wegretuschiert wird, wenn „Kurios“ (Herr) nicht mehr als Herrschaftstitel und huldigende Anrede genehm ist? Nach dem Motto: Jesus – ja, Christus – nein. Welchen Maßstäben (Kriterien), Werten und Orientierungen sind wir verpflichtet? Sind wir noch Kirche der Reformation? Ökumenischer Konsens. Eine evangelische Kirche, die ihre ökumenische Einordnung in die „allgemeine christliche Kirche“ bewusst ernst nimmt, kann nicht vollständige theologische und exegetische Umorientierungen und Neubewertungen vornehmen, ohne auf die Stimmen der anderen und älteren Kirchen (römisch-katholisch, orthodox), der Freikirchen und der Kirchen in der Zweidrittelwelt zu hören. Ist für eine „Kirche des Wortes“ hier nicht viel mehr ökumenische Sensibilität vonnöten? Welchen Wert hat für die EKHN der jahrhundertealte christliche Konsens? Dialog der Religionen. Wie will man diesen selbstgefälligen Umgang mit dem Wort des lebendigen Gottes im Bereich von Judentum und Islam vermitteln? Im Islam hat zwar Gott viele Namen, aber was wäre, wenn jemand auf die Idee käme, „Allah“ und Mohammed zu interpretieren, geschweige denn zu ersetzen? Es wäre undenkbar, ein Sakrileg, eine weitere Initialzündung für den weltweiten Kulturkampf! Werden wir mit der BgS wirklich den christlich-jüdischen Dialog befördern? Stößt dieser Umgang mit dem heiligen Gottesnahmen nicht vielmehr auf Ratlosigkeit und Unverständnis? Wie geht die Kirche mit den ihr anvertrauten Pfunden um? Nicht nur innerkirchliche Krawallmacher, sondern gerade auch kirchenferne Menschen, darunter viele kluge, kritische Köpfe, sind befremdet und verärgert über den hohen finanziellen Einsatz, mit welcher gerade die EKHN bei der BgS eingestiegen ist (von € 400.00 ist die Rede). „Es geht der Kirche offensichtlich noch zu gut! Haben die nichts Besseres zu tun?“ Diese Meinungen habe ich persönlich gehört – und das nicht aus der frommen Kerngemeinde. Gerechtigkeit in allen Bezügen (persönlich wie strukturell, im Verhältnis zu Gott wie auch sozial, gesellschaftlich, ökologisch) ist ein zentrales Thema der gesamten Heiligen Schrift. Die Lehre von der Rechtfertigung allein durch den Glauben ist daher zu Recht nach reformatorischem Verständnis der Artikel der Kirche Jesu Christi, mit dem alles und alle stehen und fallen. Nur geht es bei der Gerechtigkeit um kein Formal-, sondern um ein Materialprinzip. Denn der Mensch wird eben nicht an seinen Worten und an seiner Sprache, sondern an seinen Werken erkannt und aufgrund seiner Taten gerichtet. Denn es ist hier kein Unterschied: Wir sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhmes, den wir bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist (Römer 3,23). Es bleiben Fragen: Was kommt als nächstes? Was etwa wird aus dem Evangelischen Gesangbuch mit seiner ungerechten Sprache? Als Beispiel nenne ich nur das bekannte Abendlied von Matthias Claudius „Der Mond ist aufgegangen“. Es gehört in seiner vorliegenden sprachlichen Gestalt zum „Weltliteraturerbe“. Wie steht es besonders um die letzte Strophe? „So legt euch denn, ihr Brüder, in Gottes Namen nieder; kalt ist der Abendhauch. Verschon uns, Gott, mit Strafen und lass uns ruhig schlafen. Und unsern kranken Nachbarn auch!“